Der Neumarkt ist fertig: Was ist gelungen, was nicht?

Sächsische Zeitung vom 11.April 2019

Die Gestaltungskommission hat ihre Arbeit nach zehn Jahren beendet. Aber gestritten wird weiter über den wiederentstandenen Platz im Herzen von Dresden.

Die letzten Gerüste fallen gerade in der Frauengasse. Mit dem Blobel-Neubau Au Petit Bazar und dem anschließenden Palais City One hat der Neumarkt den typischen Platzcharakter bekommen. Er scheint fertig, doch neben dem Polizeipräsidium entstehen in den kommenden zwei Jahren noch das Quartier Hoym sowie das Schloßeck an der Schloßstraße. 62 Leitbauten und Häuser mit historischen Fassaden sind seit 2004 gebaut worden, etwa die gleiche Anzahl moderner Gebäude. Sein Aussehen hat der heute in ganz Europa und den USA hoch gelobte Neumarkt auch durch die Gestaltungskommission Kulturhistorischer Neumarkt erhalten, die eigens 1999 dafür gegründet wurde. Am Mittwoch haben die Mitglieder ihre Arbeit mit der 114. Sitzung beendet. Doch ist wirklich alles geglückt, was die Kommission vorschlug?

Welche Projekte sind gelungen?

Zweifellos haben die sogenannten Leitbauten, die nach historischem Vorbild entstanden sind, eine sehr hohe Qualität. Allen voran das British Hotel, das Schützhaus sowie der Jüdenhof mit dem Dinglinger und dem Trierschen Haus, schätzt Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne) ein. Damit ist er mit Torsten Kulke, dem Vorstand der Gesellschaft Historischer Neumarkt (GHND), einer Meinung. Der ehemalige sächsische Landeskonservator Gerhard Glaser, seit Beginn in der Gestaltungskommission, lobt vor allem, dass wirklich der alte Stadtgrundriss zugrunde gelegt wurde und sowohl Traufhöhen als auch die historischen Dachlandschaften beim Neubau beachtet wurden. „Dass die Straßen und Plätze nach historischem Vorbild entstanden, ist ein großer Gewinn“, sagt Glaser.

Was verlief nicht wünschenswert?

Im Gegensatz zu vielen Dresdner Bürgern, die sich gegen den Bau eines modernen Gewandhauses ausgesprochen haben, bedauern die Mitglieder der Gestaltungskommission, dass dies nicht kommt. Zwar sei mit dem Grünen Gewandhaus, wo Bäume den Umriss des früheren Tuchhandelshauses nachbilden, ein guter Kompromiss gefunden worden. Doch ein Gebäude hätte die frühere Platzkante wieder aufgenommen, sagt der Baubürgermeister. Er bedauert auch, dass historische Keller weichen mussten, ebenso die Barbakane. Die halbkreisförmige Bastion war bei den Ausgrabungen auf dem Neumarkt gefunden worden, ebenso Reste der Stadtmauer mit dem erhaltenen Frauentor. Sie wurden abgerissen, um der Tiefgarage Platz zu machen.

Kritisch sieht Schmidt-Lamontain auch, dass die Neumarkt-Freiflächen kommerziell übermäßig genutzt werden.

Was muss unbedingt noch kommen?

Ohne das Hotel Stadt Rom fehlt dem Platz der südliche Abschluss, sind sich alle Kommissionsmitglieder einig. Auch wenn es heute nur noch möglich sei, das Gebäude an leicht veränderter Stelle zwischen dem Hotel des Saxe und der Heinrich-Schütz-Residenz und auch nur in Teilen wieder aufzubauen, sollte dies unbedingt erfolgen, sagt der einstige Landeskonservator und vertritt darin auch die Position der GHND. Schmidt-Lamontain gibt jedoch zu bedenken, dass die Abstandsflächen zu den benachbarten Gebäuden zu gering sind. Keiner der dortigen Eigentümer sei begeistert von der Idee, sich juristisch darüber auseinanderzusetzen. „Aber wir wollen eine Lösung finden, es braucht nur Zeit“, sagt der Baubürgermeister. Er plädiert auch dafür, den Platz südlich des Kurländer Palais, auf dem sich heute ein großer Parkplatz befindet, wieder zu bebauen.

Ebenso nicht mehr Teil des Neumarktes, jedoch in unmittelbarer Nähe, ist die Brühlsche Terrasse. Auf ihr sollte das Belvedere – zu deutsch schöne Aussicht – wieder entstehen, der einstige Ballsaal mit Säulen im Stil der italienischen Renaissance. Interessenten hat es bereits gegeben. Ob sie heute noch zur Verfügung stehen, ist unbekannt. Damit das Belvedere wieder höchster Punkt ist, sollte das Hochhaus am Terrassenufer abgerissen werden, sagt Heinrich Magirius, ebenfalls einstiger sächsischer Landeskonservator.

Welche Gebäude stehen in der Kritik?

Dresdens Bürgerschaft reibt sich sehr am Neubau Ecke Jüdenhof/Rosmaringasse hinter dem Kulturpalast, gab ihm sogar den unschönen Titel Furunkel am Neumarkt. Er komplettiert ausgerechnet den Jüdenhof, das so hoch gelobte Ensemble. Doch während die GHND stark gegen einen modernen Bau an der Ecke kämpfte, hat ihn die Gestaltungskommission bewusst ausgewählt. „Und ich halte ihn heute für den gelungensten Neubau auf dem Neumarkt“, sagt Professorin Johanne Nalbach, die die zeitgenössische Architektur in der Kommission vertritt.

„Die Vergangenheit spielt in Dresden eine sehr große Rolle“, sagt sie. Deshalb müsse moderne Architektur hier mit der Vergangenheit sprechen, sie nicht bekämpfen. Dafür müssten aber Siegerentwürfe auch bis zum Schluss begleitet werden. Damit knüpft sie direkt an ein weiteres Gebäude an, das in Dresden umstritten ist. Es befindet sich unweit der Frauenkirche und beherbergt neben einem italienischen Restaurant auch die Champagnerlounge. „Der Siegerentwurf sah sehr hochwertige Materialien und eine andere Fassade vor“, sagt Nalbach. Gebaut wurde dann eine abgespeckte Variante.

Was konnten die Bürger bewegen?

Haben sie den Bau des modernen Gewandhauses verhindert, führte der Protest gegen das Sattelgeschoss des Moritzhauses nicht zum Erfolg. Dieses sieht auch Nalbach kritisch. „Offenbar wollten die Investoren das Maximum an Fläche aus dem Dach herausholen. Jetzt ist das ganze Dach mit Gauben überfrachtet“, schätzt sie. Der Baubürgermeister sagt, dass die Stadt an dieser Stelle kein rechtliches Mittel hat, dagegen vorzugehen. Es komme auf das Miteinander mit den Investoren an, das aber fast immer am Neumarkt geklappt habe, sodass vielfach gute Architektur mit hochwertigen Materialien entstanden ist.

 

Ein Traum ist wahr geworden

SZ-Redakteurin Kay Haufe freut sich über die aus Ruinen entstandene neue alte Mitte der Stadt.

Dresden hat seine Mitte zurück. In der Stadt, die – kriegsbedingt – sehr großzügig bebaut und mit Grün durchzogen ist, gibt es plötzlich enge Gassen und eng aneinander gebaute Häuser mit pastellfarbenen Fassaden und Dachgauben.

Rund um die Frauenkirche ist ein Areal entstanden, das es fast 60 Jahre nicht mehr gab. Daran mussten sich Viele erst gewöhnen. Nur die Älteren kennen den Neumarkt noch vor der Zerstörung. Begriffe wie Disneyland kursierten zwischenzeitlich.

Doch je mehr sich der Platz füllt, desto besser können Kritiker nachvollziehen, wie schön er einst war und weshalb ihn sich ältere Dresdner zurückwünschten. Die Stadt hat gut daran getan, die Gestaltungskommission zu gründen, denn bei Baubeginn 2004 standen die Investoren noch nicht Schlange.

Dass sie trotzdem viele Vorgaben erfüllt und überwiegend in hoher Qualität gebaut haben, liegt wohl auch am Projekt selbst, das heute deutschlandweit als Vorbild für den Wiederaufbau eines historischen Stadtviertels gilt, auch wegen der Mitwirkung der Bürgerschaft. Zwar wurden die Grundstücke verkauft, aber die finanzielle Kraft der Stadt war vor 20 Jahren geringer als heute. Schon jetzt ist ein Traum wahr geworden, an den viele nicht mehr glaubten. Fehlt nur noch das Hotel Stadt Rom.