Die Gestalter des Neumarkts

Dresden ist mit seinem Wiederaufbau und den Leitbauten Vorbild für viele deutsche Städte. Dahinter steckt System.

Von Lars Kühl

Sächsische Zeitung vom 03.04.2017

Fast 20 Jahre war sie komplett im Hintergrund. Dabei geht am Neumarkt nichts ohne sie. Ihr Wort hat beim Stadtplanungsamt Gewicht, wenn es den Investoren ihre Bauvorhaben genehmigt. Die Gestaltungskommission für das kulturhistorische Zentrum gibt es seit 1998, am Freitag haben Mitglieder erstmals über ihre Arbeit gesprochen. Sonst führen sie untereinander harte Diskussionen. Im Ergebnis besteht aber meist Einigkeit, erklärt Kunsthistoriker Joachim Kuke aus Potsdam.

Die Herausforderungen am Neumarkt sind besonders groß, schließlich wird der Platz in Rekordzeit wieder bebaut. Dabei müssen sowohl die historischen Ansprüche aus seiner Vergangenheit als auch die Anforderungen an zeitgemäßes Wohnen beachtet werden. In kaum einer deutschen Stadt wird darüber so emotional debattiert wie in Dresden. Ein Vorteil, wie Kuke findet, nur so könne ein gutes Ergebnis gefunden werden. Vier Jahre sind die Mitglieder im Amt, können aber aus einem vorgeschlagenen Personenkreis wiedergewählt werden. Derzeit sitzen sieben Experten in dem städtischen Gremium, das sich vierteljährlich oder projektbezogen trifft – Architekten, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger. Auch von außerhalb Dresdens, „damit es kein Schmoren im eigenen Saft gibt“, betont der ehemalige Landeskonservator Gerhard Glaser. Es jedem Recht zu machen, sei unmöglich. Glaser erinnert an den Ursprung. „Alles hängt mit der Frauenkirche zusammen.“ Deren Wiederaufbau zwischen 1994 und 2005 war die Initialzündung. Eine riesige Bürgerbewegung war dabei treibend, auch gegen den Willen der staatlichen Denkmalpflege. Dass es gelang, so viel Originales wie möglich zu verwenden, brachte Dresden viel Anerkennung.

Seitdem erhält der Neumarkt seinen alten Charakter zurück: kleine Vorplätze, Straßenzüge, Fluchten und Engstellen. „Unser Ziel war dabei immer, eine neue Stadt zu bauen“, sagt Glaser, „aber mit historischem Bezug“. Dafür gebe es die Leitbauten, also festgelegte, ehemals herausragende Gebäude, die möglichst original wiedererrichtet werden. Sie sollen der Maßstab für angrenzende, zeitgemäße Häuser mit Qualität sein. Dieser Mix mache das besondere Flair des Neumarkts aus. „Das Ergebnis ist durchaus gelungen, auch wenn nicht alles Moderne gut geworden ist.“

Seit die Gesellschaft Historischer Neumarkt 1999 als bürgerlicher Verein begann, ein Maximum an Rekonstruktionen, Kleinteiligkeit und alten Dachformen öffentlichkeitswirksam zu fordern, gab es häufig Kritik an der Kommissionsarbeit. Zu nebulös erschienen manche ihrer Vorschläge. Dabei orientieren die sich an den geänderten Bedürfnissen und Umständen. Durch diesen Widerspruch habe man heute viele hochmoderne, funktionale Bauten mit „davorgehängter Fassade“, sagt Heinrich Magirius, ebenfalls früher Landeskonservator. Das ist der Kompromiss aus der Moderation zwischen den Interessen der Investoren und den Wünschen der Bevölkerung. „Wir müssen sehr viele Dimensionen bewerten“, erklärt die international tätige Architektin Marina Stankovic aus Berlin, das jüngste Mitglied. Fest stehen die alten Quartiere. Wie aber die Gassen, Ensembles und Vorplätze zum Neumarkt entstehen, ist offen. Das beginnt bei der Entscheidung, welche Zeit bei einem Wiederaufbau die Vorgabe ist. Barock aus dem 18. Jahrhundert oder bei Zerstörungen, beispielsweise im Siebenjährigen Krieg, die spätere Neubebauung, wie sie bis 1945 existierte? Dabei kann auch ein Park die Lösung sein, wie bald die Bäume, die die Form des alten Gewandhauses nachbilden sollen. Selbst harte Brüche, wie am Jüdenhof, wo die barocke Bürgerhausfront zum Kulturpalast hin an modernste Bauklotzarchitektur grenzt, sind zwar strittig, aber gewollt. Ein Richtig oder Falsch soll es nicht geben, nur die Lebendigkeit des Alltags. Der Neumarkt soll Stadt sein, kein Museum.

 

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Die Gestaltungskommission arbeitet eng mit dem Stadtplanungsamt zusammen. Gerhard Glaser, Joachim Kuke, Heinrich Magirius, Marina Stankovic (v.l.) sowie Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (hier nicht im Bild) starteten ihre Runde dort, wo alles anfing: vor der Frauenkirche.  © Christian Juppe

 

Wozu die Geheimnistuerei?
Lars Kühl über die Kommission für den Neumarkt.

Überspitzt gesagt umwehte die Gestaltungskommission für den Neumarkt immer ein Hauch von Geheimbund. Wer es noch negativer wollte, stellte ihre Expertise und Arbeit infrage und sah in ihr einen Erfüllungsgehilfen des Stadtplanungsamtes. Wieso die Entscheidung für ein bestimmtes Objekt an Dresdens wichtigstem Platz so oder anders getroffen wurde, das war einfach schwer und meist überhaupt nicht nachzuvollziehen.

Der erste Schritt in die Öffentlichkeit, auch wenn es nur ein zaghafter war, zudem lediglich auf Journalisten zu, ist nun trotzdem ein richtiger. Im Gespräch mit den Experten, die selbst unterschiedliche Sichtweisen haben, wird vieles verständlich. Was am Neumarkt wiedererrichtet wurde und in den kommenden Jahren noch wird, ist eine enorme Leistung. Die meisten Dresdner und unsere Gäste laufen mit Begeisterung über den Platz, freuen sich über die vielen, wirklich gelungenen Gebäude, staunen an manchen über die Spuren der Vergangenheit und die Liebe zum Detail, schimpfen aber auch über Ecken, die ihnen nicht gefallen. Das ist mit ein Verdienst der Gestaltungskommission. Dennoch wäre es gut, wenn die Mitglieder in Zukunft öfter und offener über ihre Arbeit berichten.