Neustädter Markt: Gutachten lobt Wettbewerbsergebnisse

Ein am 30. Oktober veröffentlichtes Gutachten attestiert den beiden Erstplatzierten des stadt- und freiraumplanerischen Wettbewerbs zum Neustädter Markt und Königsufer die Fähigkeit zu einer beträchtlichen Aufwertung der Platzsituation. In dem Text nehmen die Autoren Prof. Dr. habil. Peter Stephan, Prof. Dr. Dr. hc. Heinrich Magirius und Dr. Stefan Hertzig auch Bezug auf eine Stellungnahme der emeritierten Professorin für die Geschichte der Landschaftsarchitektur Frau Prof. Dr. Erika Schmidt vom Februar 2019 (Initiative „Neustädter Freiheit“) sowie Äußerungen auf der Internetseite das-neue-dresden.de. „Die Mehrheit [der Wettbewerbsteilnehmer] gelangte […] zu der Erkenntnis, dass das Königsufer wieder zu einem urbanen städtebaulichen Bindeglied zwischen Altstadt und Neustadt werden müsse und keine Stadtlandschaft mit diffundierenden Freiräumen im Sinne der 1960er und 1970er Jahre bleiben dürfe. Nichtsdestoweniger wurde den landschaftsgestaltenden Gesichtspunkten große Aufmerksamkeit geschenkt, auch im Hinblick auf die Anbindung an die weiterführende vorhandene Ufergestaltung. Eine weitere Rolle spielten Aspekte des Stadtklimas“, so das Urteil der drei Autoren.
Schmidt hingegen erkennt in der aktuellen Platzsituation eine „harmonische Beziehung zwischen überkommenen und neu geschaffenen Elementen“ sowie ein Verwobensein „von Elementen aus dem 18. und 19. Jahrhundert mit zeittypischen Elementen der Freiraumgestaltung der 1970er Jahre“. Das Gutachten kommt zu einer gänzlich anderen Wertung: „Tatsächlich können Zeitzeugen sich noch gut an die Rigorosität der städtebaulichen Eingriffe, sprich Abbrüche, zur Durchsetzbarkeit dieser Lösung erinnern. Der bis dato erhoffte Wiederaufbau des Neustädter Rathauses (die Kelleranlagen sind noch heute weitgehend erhalten) wurde vom Tisch gefegt, desgleichen alle Einwände gegen die geplante brachiale Lösung, die außer dem Goldenen Reiter und der barocken Brunnenanlage einzig die Hauptstraße als Achse zum Albertplatz gelten ließ. Nur drei Bürgerhäuser und das (politisch positiv belegte) Kügelgenhaus durften saniert werden. […] Außerdem ist die neu geschaffene Freifläche in ihrer Ausdehnung viel zu groß, um den Goldenen Reiter angemessen zu fassen, der nun verloren auf dieser undefinierten Weite wirkt. Nichts zeigt dies deutlicher als der Vergleich mit dem historischen Platzraum, für den die Figur geschaffen wurde.“
Auch die von Prof. Schmidt angeführten Verweise auf historische Plätze können die Autoren nicht überzeugen. „…[A]nders als Berninis Kolonnaden [am Petersplatz in Rom] können die Flügelbauten des Neustädter Markts den Platz räumlich nicht fassen. […] Das Aufbrechen des Platzraums hin zu der unter Mussolini erbauten Via della Conciliazione ist hingegen ebenso wie die Überdehnung des Neustädter Markts ein totalitärer Herrschaftsgestus. […] Der Kasseler Friedrichsplatz und die Place de la Concorde [in Paris] wiederum sind mindestens genauso maßstabslos und anti-urban wie der Neustädter Markt, was sich jedoch nicht so gravierend auswirkt, da diese beiden Plätze mit Parkanlagen assoziiert sind.“
Eine vielversprechende Korrektur der jetzigen Platzsituation sehen die Autoren in den Entwürfen des Erst- und Zweitplatzierten des Wettbewerbs: „Letztlich korrigieren die Siegerentwürfe den Fehler der 1970er Jahre, die Flügelbauten am Neustädter Markt ausschließlich als ein nach Norden weisendes Entrée zu gestalten. Unter Wahrung der vorhandenen Substanz richten sie die Straßenachse zwischen Augustusbrücke und Albertplatz auch wieder nach Süden aus. Der Bezug zum Albertplatz bleibt bestehen, aber es erfolgt nun auch wieder die Anbindung an das Königsufer. Durch dessen Wiederbebauung wird der Brückenkopf am Blockhaus/Narrenhäusel wieder zu einer optischen Verengung, die nach Durchschreiten die Weite des Elbtals und die Altstadt-Silhouette in Erscheinung treten lässt. Der raumdramaturgisch einzigartige Aha-Effekt der Barockzeit (wie ihn auch Bernini für den Petersplatz geschaffen hatte und wie ihn auch die Place de la Bourse entfaltet, wenn man sie von der Stadt aus betritt) wird auf diese Weise zurückgewonnen.“
Auch eine wohlproportionierte Bebauung des Platzes, von der „Neustädter Freiheit“ vehement abgelehnt, sehen die Autoren als Maßnahme zur Aufwertung an: „Dabei erhält der Goldene Reiter wieder eine räumlich richtig proportionierte Fassung. Für die Brunnen werden intimere Seitenplätze mit hoher Aufenthaltsqualität geschaffen (die es freilich im Rahmen einer Überarbeitung noch weiter auszubauen gilt). Zugleich ergeben beide Pläne ein schönes Stadtpanorama, das mit der Elbseite der Altstadt kommuniziert. Der Bezug zum ‚Genius loci‘ und die ‚städtebauliche Qualität des Platzes als schöpferische Weiterentwicklung einer historischen Figur‘ – hier sind sie gegeben. […] [D]er Verlust des Baumbestands auf dem Neustädter Markt lässt sich problemlos kompensieren: durch eine Bepflanzung der nicht bebauten Restflächen zwischen dem Goldenen Reiter und den geplanten Neubauten sowie der Bereiche hinter den Flügelbauten. Würde man darüber hinaus den auch städtebaulich gebotenen Durchbruch zur Rähnitzgasse vornehmen, käme es im westlichen Bereich des Neustädter Markts sogar zu einem besseren Luftaustausch. Und nicht zuletzt könnte eine Bebauung die Bewohner der Plattenbauten besser gegen den Verkehrslärm der B 170 schützen.“
Das Gutachten endet mit der Feststellung: „Diese immense Chance, städtebauliche Wunden zu heilen, Altstadt und Neustadt wieder zu einer kompositorischen Einheit zusammenzuführen, auf den menschlichen Maßstab bezogene Stadträume zu schaffen und damit die Aufenthaltsqualität und die Lebensqualität am Königsufer für Millionen von Besuchern und Passanten zu steigern, sollte nicht ungenutzt bleiben.“

Lesen Sie das gesamte Gutachten:
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