Die zwei Seiten des Neustädter Marktes

Der Platz und sein Umfeld werden in den nächsten Jahren umgestaltet. Dem Königsufer kommt besondere Bedeutung zu.

Von Lars Kühl

Sächsische Zeitung vom 07.02.2017
Der Blick an der Schulter des Goldenen Reiters vorbei gehört zu den beeindruckendsten, die Dresden zu bieten hat. Das Blockhaus im Visier, über die Augustusbrücke zum Hausmannsturm, zur Hofkirche und zum Georgentor in der Altstädter Ferne. „Nur umdrehen darf man sich nicht!“, kommentierte kürzlich jemand ein solches Fotomotiv auf Facebook.

In der Tat: Wer am Neustädter Markt in die andere Richtung schaut, sieht Plattenbauten zur Linken, noch in Schuss, aber kein Hingucker, und gespiegelt (fast) das gleiche Ensemble auf der rechten Seite, nur viel heruntergekommener. Die beiden bildeten zu DDR-Zeiten als Zwillinge den Eingang zur Hauptstraße. Durch die Sanierung der Kopfbauten in den 2000er-Jahren ging dieser Effekt allerdings ziemlich verloren. Auf beiden Seiten sind ebenfalls immer noch zwei baugleiche Brunnen vorhanden. Der westliche funktioniert, sein Zustand ist aber genauso desolat wie der auf der Ostseite, wo der Neustädter Tunnel gerade zugeschüttet wurde.

Es ist Zeit, dass etwas passiert. Zwar gibt es mehrere Modelle, konkret ist bisher allerdings nur, das Narrenhäusel auf dem südlichen Platz am östlichen Ende der Augustusbrücke nach historischem Vorbild wieder aufzubauen. Frühestens im April wird mit der Ausschreibung des Vorhabens gerechnet. Für den südlichen Neustädter Markt gibt es einen ersten Bebauungsplan, der voriges Jahr beschlossen wurde und das Königsufer einbezieht.

Wie wichtig die Bürgerbeteiligung bei solchen prägenden Vorhaben ist, hat die Debatte um das Narrenhäusel gezeigt. In Dresden gibt es neben mehreren Initiativen auch zahlreiche Privatpersonen, die aufmerksam die städtebauliche Entwicklung verfolgen. Einige von ihnen meckern viel, zum Teil unsachlich, oft aber auch begründet. Und es kommen sogar Vorschläge, wie es anders gemacht werden könnte.

Ein richtiges Konzept legt jetzt StadtbilDD vor, ein Zusammenschluss an der Entwicklung Dresdens interessierter Menschen aus ganz Deutschland. Unter der Zielvorgabe, ein „kleines Pendant zur Brühlschen Terrasse zu schaffen“, haben sich die Mitglieder Gedanken gemacht, wie der Neustädter Markt bis 2025 umgestaltet werden könnte, erklärt Sprecher Michael Wolf. Besonderes Augenmerk gilt der Fläche oberhalb des Königsufers zwischen der Augustusbrücke und dem Finanzministerium. StadtbilDD gibt ihr den Namen „Narrenterrassen“. Momentan wird sie als Parkplatz und Biergarten genutzt. Der Brückenaufgang wurde gerade saniert. Das zu errichtende Narrenhäusel soll als Anhaltspunkt für die Dimensionen der neuen Nachbarhäuser dienen. Vorgeschlagen wird, dass sie zum Ministerium hinführen und in der Höhe ansteigen. Das Gebäude an der Ecke von der Augustusbrücke zur Köpckestraße sollte historische Bezüge haben. Hier stand einst das Brauer’sche Haus. Auffällig an seiner Ecke war die Skulptur „Saturn“, die Barockbildhauer Balthasar Permoser geschaffen hatte. Diese sollte der Bauherr möglichst wieder anbringen.

Die Fassaden der anderen Häuser müssten zur Köpckestraße und zur Elbe hin „höchst repräsentativ und wohlgestaltet“ entworfen werden. Die einzelnen Gebäude dürfen als Ensemble nicht eintönig aussehen, sondern durch ihre Höhe, die Anzahl der Stockwerke, die Dachform, Farbe und Reliefs aufgelockert wirken. Außerdem sollen sie nicht zu modern sein, sondern eine „Einheit zwischen Historie und Gegenwart“ bilden. Während unter dem heutigen Parkplatz eine Tiefgarage gebaut werden könnte, soll auf der Fläche zur Elbe hin ein öffentlicher Garten angelegt werden.

Interessant ist, welche Sichtachsen sich durch die Anordnung der neuen, vier- bis fünfseitigen Bauten mit Innenhöfen ergeben würden, beispielsweise zwischen Goldenem Reiter und Frauenkirche oder zum Hausmannsturm und zur Hofkirche hinüber. Für die andere Platzseite neben der Augustusbrücke zwischen dem Blockhaus und dem Hotel Bellevue unterstützt StadtbilDD die Vorschläge der Gesellschaft Historischer Neumarkt, die sich an der Vorkriegsbebauung mit Barockcharakter nach historischem Vorbild orientieren.

Auf der Nordseite des Neustädter Marktes favorisiert die Initiative den Rahmenplan, den das Stadtplanungsamt vor sieben Jahren aufgestellt hat. Ziel bleibt im Westen ein Durchbruch zur Rähnitzgasse. Die Fassaden der Plattenbauten müssten aufgewertet werden. Neue Häuser sollten symmetrisch auf beide Seiten vor die bestehenden gesetzt werden, den Blockrand vervollständigen, aber flacher sein. Ihre Kleinteiligkeit könnte eine feingliedrige Fassadenstruktur unterstreichen, ihre Dächer sollten möglichst gedeckt sein. Die Augustusbrücke wird nach ihrer Sanierung den Fußgängern vorbehalten sein. Der Zugang soll künftig von der Nordostseite geschmeidig und flüssig gestaltet werden.

Foto 1 , Foto  2, Visualisierung Grafik: StadtbilDD

SZ Kommentar: Rathaus muss mit Bürgern sprechen
Lars Kühl über die Neugestaltung des Neustädter Marktes

Königsufer – ein schöner, verheißungsvoller Name. Doch so richtig verdient der Abschnitt zwischen Augustusbrücke und Finanzministerium ihn zurzeit nicht. Man stellt sich darunter eher einen hübschen Palast als einen biederen Parkplatz vor. Solch ein repräsentatives Bauwerk wird es auch künftig nicht geben, wenn der Bereich umgestaltet wird. Ansprechender als jetzt darf es aber schon sein.

Die Chance, Historisches aus mehreren Epochen ansehnlich zu verbinden, sollten Bauherren, Architekten und vor allem die Stadtplaner nutzen. Jeden Geschmack zu treffen, wird unmöglich. Aber der Neustädter Markt und sein Umfeld sind so stadtprägend, dass an dieser Stelle Entwürfe höchsten Anspruches und mit einem breiten Konsens auszuwählen sind, keine Baukastenversuche, sondern harmonische Ensembles, aufgelockert durch echte Hingucker. Das müssen nicht zwingend Rekonstruktionen sein. Warum aber an einigen Stellen nicht Barockes aufleben lassen? Schön war es allemal.

Dass sich Bürgerinitiativen über die Stadtentwicklung Gedanken machen, ist positiv. Der Dialog mit den Entscheidern im Rathaus muss geführt werden. Doch dafür fehlt im Moment noch die Schnittstelle, ein Moderator. Das Konzept von StadtbilDD ist durchdacht. Gerade wichtige Sichtbeziehungen sollen erhalten bleiben. Was passiert, wenn das missachtet wird, sehen wir bald am Neumarkt, wenn der Moritzhaus-Klotz den Frauenkirchenblick vom Altmarkt aus verdeckt.