Kritik am Märchenschloss vom Neumarkt


Sächsische Zeitung vom 28.02.2017

Nobelpreisträger Günter Blobel will seine ganz eigene Version eines Stadthauses verwirklichen. Einigen geht das zu weit.

Von Lars Kühl

Die künftige Baumhalle zählt zu den umstrittenen Projekten am Neumarkt, weil es den rechteckigen Platanenpark an der Stelle des alten Gewandhauses so früher nicht gegeben hat. Nicht jedem sagt diese Neuinterpretation zu. Inzwischen freuen sich Kritiker aber auf die Bäume. Denn sie sollen etwas verdecken, was ihnen noch viel weniger gefällt.

Seitdem bekannt ist, wie Dresden-Freund und Nobelpreisträger Günter Blobel seine Version des früheren Kaufhauses Au petit Bazar als auffallende Ecke eines zentralen Vierseithofes an der Westseite gestalten will, hagelt es mehr Kritik, als dass es Lob gibt. Matthias Horst, selbst Architekt, nennt das Projekt „eine Architekturikone frei nach dem Motto: Wünsch Dir was“. Für ihn ist der Entwurf ein „Neo-Reko-Mischmaschbau“. Er räumt ein, wie schwierig es am Neumarkt für seine Zunft ist, es allen recht zu machen. „Es bleibt eine Gratwanderung zwischen den Abgründen der Geschichtsverschleierung, der Ehrlichkeit gegenüber uns und zukünftigen Generationen sowie der Wiederherstellung eines menschelnden Stadtraumes“.

Auch die Gesellschaft Historischer Neumarkt, die die Entwicklung an Dresdens herausragendstem Platz mit Argusaugen überwacht, immer mit dem Ziel, das Maximum an Rekonstruktionen herauszuholen, hat mit dem Entwurf so ihre Probleme. Und das, obwohl Blobel selbst Mitglied ist und die Gespräche zum Haus seit Monaten hinter den Kulissen geführt wurden. Statt des historisierenden Neu- hätte sich die Gesellschaft einen originalen Wiederaufbau gewünscht, erklärt Vorstand Torsten Kulke. Der Entwurf zeige zwar den Willen, den alten Geist wieder aufleben zu lassen, „vom Ergebnis sind wir indes enttäuscht“. Den Neumarkt-Wächtern ist bewusst, dass eine „1:1-Rekonstruktion für heutige und künftige Nutzung aus verschiedenen Gründen nicht möglich“ ist. Das von Heinrich Hermann Bothen 1851 anstelle eines barocken Vorgängerbaus fertiggestellte Kaufhaus wich mit seinen klassizistischen Elementen vom ansonsten weitgehend barocken Stil am Neumarkt ab, prägte ihn aber „zum Vorteil des Platzbildes“.

Kein Zusammenspiel mit Nachbarn

Der aktuelle Entwurf vom Blobel-Architekten Michael Kaiser erreiche diese Wirkung nicht. Im Gegenteil: Das Zusammenspiel mit den benachbarten Objekten des Investors Unser Schönes Dresden (USD) sei nicht stimmig. Die beiden markanten, wuchtigen Eckhäuser, von denen Blobel das linke bauen lässt, schließen im Dachbereich nicht symmetrisch ab, wie es aber bis zur Zerstörung 1945 war. Die First- und Traufhöhen, also die obere und untere Kante der Dächer, würden sich erheblich unterscheiden. Während USD die alten Höhen nahezu übernimmt, obwohl das Unternehmen eine zusätzliche Etage im Vergleich zum Originalbau „eingeschoben“ hat, soll das Blobel-Haus deutlich höher werden, auch weil seine Geschosse im Gegensatz dazu gestreckt geplant sind. Was der Neumarkt-Gesellschaft ebenso nicht passt, ist das großflächige Flachdach. „Dieses ist nach dem städtebaulich-gestalterischen Konzept für den Neumarkt unzulässig“, sagt Kulke. Außerdem soll darauf ein Pavillon errichtet werden, damit ein Aufzug zur Dachterrasse fahren kann. „Das lehnen wir als besonders störend für die Sicht von der Frauenkirchenkuppel ab.“ Obwohl Kulke den geplanten Eingang zum Innenhof lobt, fordert er Blobel auf, den Übergang zum USD-Gebäude zu überarbeiten.

Vom Bauherren verlangen die Neumarkt-Wächter, entsprechende Änderungen im Entwurf vorzunehmen. Von der Stadtverwaltung erwarten sie, Einfluss darauf zu nehmen. Nur so hat die Gesellschaft „keinen Zweifel, dass sich das Bauvorhaben in seiner Qualitätsumsetzung und Materialität wesentlich von den bisher am Neumarkt entstandenen Neubauten positiv abheben wird“.

Noch ist Zeit, die Baugrube wird gerade ausgebaggert. Am Jahresende soll Richtfest für das Acht-Millionen-Euro-Projekt gefeiert werden. Nächstes Jahr erfolgt der Innenausbau. Die ersten Mieter sollen Anfang 2019 in eine der acht Wohnungen einziehen. Im Erdgeschoss ist eine Galerie für zeitgenössische Kunst vorgesehen. Blobel und Kaiser wollen mit ihrem Entwurf eine Hommage an die Neostil-Epoche des 19. Jahrhunderts liefern, mit Anleihen aus der Antike, der Gotik und der Renaissance. Nicht zuletzt sei die originale Au-petit-Bazar-Fassade eine Reminiszenz an die venezianische Palastarchitektur gewesen. Dieser Dekor mit Stuck soll nun zurückkehren. Das Haus hat deshalb schon einen Spitznamen: Blobelsches Märchenschloss.

 

© Visualisierung: arte4D

Vor dem Blobel-Haus wird ein Park angelegt. Mit Bäumen, so hoch wie das alte Gewandhaus.