Text der Rede – gehalten anläßlich der Preisübergabe des Henry Hope Reed Award 2018 am 24.03.2018 im Murphy Auditorium Chicago
RICHARD H. DRIEHAUS PRIZE
AT THE UNIVERSITY OF NOTRE DAME
Saturday, March 24, 2018
John B. Murphy Auditorium Chicago
TORSTEN KULKE ACCEPTANCE REDE ZUM HENRY HOPE REED AWARD
Vielen Dank für die freundliche Einführung. Ich danke der Jury der School of Architecture an der Universität von Notre Dame und Richard H. Driehaus, den Henry Hope Reed Award 2018 an mich für meine langjährige Tätigkeit als Vorsitzender der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden e.V. (GHND) zu verleihen. Es ist das zweite Mal das dieser Preis an jemanden nach Europa vergeben wird und erstmals nach Deutschland. Ich nehme diesen Preis aber auch stellvertretend für diejenigen in Empfang, die mich dabei unterstützt haben. An erster Stelle steht dabei meine Frau, meine gesamte Familie, die Mitglieder des Vereins und Architekten und Denkmalpfleger, die im Hintergrund arbeiten mussten.
Nach der Reformation war Dresden im 16. Jahrhundert zu einer ersten Blüte gelangt. In der Zeit der sächsisch-polnischen Union im 18. Jahrhundert hatten August der Starke und sein Sohn Dresden zu dem entwickelt, wofür es in aller Welt stand und heute noch steht: für Kunst und Kultur. Dresden war Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer prosperierenden Stadt geworden. Es hatte insbesondere durch die Industrialisierung einen enormen Fortschritt genommen, dabei aber seine Schönheit und Einbettung in den Flußlauf der Elbe und die Landschaft beibehalten können.
Nach den Zerstörungen am 13. Februar 1945 war Dresden eine tote Trümmerwüste. Mahnende Stimmen, die an das alte Dresden anknüpfen wollten, wurden überhört. Wie überall in Deutschland tat man sich schwer, an die Bautraditionen anzuknüpfen. Eigentümern, welche bereit waren, ihre Gebäude wieder aufzubauen, wurde dies verboten, und sie wurden später enteignet. Sämtliche Wurzeln sollten abgeschnitten werden. Man spricht davon, dass die Verluste, die durch Beseitigung von Kriegsruinen entstanden sind, sogar noch höher sind als durch die Bombenangriffe. Der neue Staat wollte eine neue Gesellschaftsordnung und einen neuen Menschen in neuen Städten erschaffen. Dabei wurden die alten Traditionen als hinderlich empfunden. Dresden sollte eine moderne sozialistische Großstadt werden. Alte Parzellen, auf denen vorher Villen und Bürgerhäuser, vielfach aus der Gründerzeit, standen, wurden mit Großbauten im Stile von Le Courbusier bebaut.
Dennoch, bis weit in die 1970er Jahre war Dresden auch eine großflächige Wüste mit ausgebrannten Ruinen. Ich kann mich als Kind erinnern, wie ich mit der Straßenbahn mit meiner Großmutter ins Stadtzentrum gefahren bin und diese gespenstischen, aber auch wiederum faszinierenden, ausgebrannten Gebäude sah. Zwischendurch befand sich eine Steppe aus Gras. Das hat mich geprägt. Daher kommt mein heutiges Engagement.
Dass ich heute hier stehen darf, habe ich nicht nur Ihnen, sehr verehrte Jury und Ihnen, Herr Driehaus zu verdanken. Es kam ein besonders schicksalhaftes Ereignis hinzu, welches wohl nur wenigen Generationen möglich ist: Der friedliche Fall der Berliner Mauer! Ich bin in Ostdeutschland groß geworden. Für mich war es unvorstellbar, dass diese Mauer einmal fallen könnte. Es war ein unglaubliches Gefühl. Diese Freiheit hat es uns ermöglicht, Dinge zu tun, die bisher unvorstellbar gewesen waren. Die DDR hatte zwar in ihrer letzten Phase bereits mit dem Wiederaufbau begonnen – 1985 wurde die Semperoper, entworfen und benannt nach dem großen deutschen Baumeister Gottfried Semper, wiedereröffnet. Die DDR war aber ökonomisch nicht in der Lage, einen Wiederaufbau nach den heutigen Maßstäben zu gewährleisten.
Die Dresdner Bürgerschaft hatte nie aufgehört, an einen Wiederaufbau des Dresdner Stadtzentrums zu glauben. Eine Gruppe von Dresdner Bürgern sandte am 13. Februar 1990 mit dem „Ruf aus Dresden“ die Bitte an die Welt, den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche zu unterstützen, damit diese als ökumenisches Weltfriedenszentrum dienen kann. Dieser Ruf wurde erhört und durch diese einmalige Spendenaktion konnte der Wiederaufbau begonnen und 2005, auch mit Mitteln aus der Privatschatulle der englischen Königin, Elisabeth II., welche das Kreuz gestiftet hat, und mit Mitteln des Nobelpreisträgers Günter Blobel aus New York fertiggestellt werden. Der Kirche gehört heute der Nagelkreuzgemeinde von Coventry an.
Zurück zum Dresdner Neumarkt: 1999 gründeten wir die Gesellschaft Historischer Neumarkt mit dem Ziel, der entstehenden Dresdner Frauenkirche ein entsprechendes Umfeld zu geben. Der Dresdner Neumarkt und die angrenzenden Gebiete sind ein Teil der historischen Altstadt der Stadt Dresden mit europäischer Bedeutung. Hintergrund war der Neubau eines in der Bürgerschaft als unpassend empfundenen Anbaus an das Coselpalais am Neumarkt. Ironischerweise noch „Neues Palais“ genannt.
Obwohl Dresdner Architekten bereits 1995 einen Vorschlag für eine Gestaltungssatzung, die auch auf DDR-Planungen zurückging, mit einer hohen Anzahl an Rekonstruktionen von Bauwerken vorgelegt hatten, wurde diese seitens der damaligen städtischen Verwaltung blockiert. Stattdessen wurden ein Atelier Neumarkt 2000 und weitere Wettbewerbe seitens der Stadt ausgelobt. In den Bildern ist jeweils dargestellt, was damals geplant wurde und was auf Grund auch unserer Überzeugungsarbeit durch Investoren errichtet wurde.
Angemerkt sei an dieser Stelle: Die GHND organisierte 2001 ein „Gegen-Atelier 2001“ mit traditionell arbeitenden Architekten. Die Resonanz in der Bürgerschaft, die noch die Bilder des alten Dresden mit seinen schönen Barock- und Klassizismusfassaden im Kopf hatten, war gering. Rekonstruktionen schienen deshalb der passendere, von der Dresdner Bürgerschaft getragene Ansatz zu sein, um Dresden ein identifikationsstiftendes Stadtzentrum zurückzugeben.
Der Widerstand gegen Rekonstruktionen formierte sich vor allem aus dem Architekturestablisment. Schon beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche hatte sich dieser Widerstand bemerkbar gemacht. Unsere Vorstellungen wurden mit dem Urteil, dies wäre „Kulissenarchitektur/Disneyland“, belegt. Auch seitens der Politik gab es am Anfang kaum Unterstützung.
Ich war mir dessen bewusst, dass wir eine politische Legitimation für dieses Vorhaben benötigen, und organisierte deshalb im Herbst 2002 ein Bürgerbegehren.
Unter dem Titel „Ja, zum Historischen Neumarkt“ wurden die Bürger aufgerufen, sich zu entscheiden. Fast 80.000 Bürger unterschrieben dieses Bürgerbegehren, davon 63.338 Dresdner Bürger. Das war weit mehr wie die geforderten 15 % der wahlberechtigten Bürger. Dieser Erfolg ist bis heute die politische Legitimation für die Forderung nach einer Wiederherstellung des Dresdner Neumarktes im Zustand vor seiner Zerstörung 1945. Dieser Wiederaufbau soll auf wissenschaftlicher Grundlage der vorhandenen Quellen aus Archiven erfolgen. Dazu werden Planunterlagen und Fotos herangezogen. Von den ehemals 138 Parzellen werden zirka 70 Leitbauten, Leitfassaden errichtet. So werden die Bauten genannt, an denen sich der Rest der Gebäude orientieren soll.
Was nun über die nächsten 1 ½ Jahrzehnte folgte, war ein „Häuserkampf“ um jedes Haus mit dem städtischen Planungsamt, der überregionalen Presse und einem sehr einflussreichen Teil der Architekten- und Denkmalpflegerschaft. Wir setzten den Planungsvorschlägen dieses Architekten-Establishments Visualisierungen mit unseren Vorstellungen entgegen und bestimmten damit über die örtliche Presse die öffentliche Meinung in der Bürgerschaft. Finanziert wurden diese fast fotorealistischen Visualisierungen von Günter Blobel von den Friends of Dresden aus New York.
Da es sich bei den meisten Parzellen um städtisches Eigentum handelte, über dessen Verkauf der Stadtrat entschied, waren die Bauherren gezwungen, auf die Forderungen aus der Bürgerschaft in den meisten Fällen einzugehen oder zumindest Kompromisse anzubieten.
Man konnte die Bauherren und Investoren nicht nur kritisieren. Wir benötigten ein Beispielprojekt. Unter meiner Leitung erwarb der Verein deshalb selbst eine Parzelle, bebaute diese mit einem Bürgerhaus und überführte dieses für die weitere Nutzung in eine Stiftung. Die Stiftung nennt sich Kulturstiftung Historisches
Bürgerhaus und fördert heute sehr erfolgreich den internationalen Studentenaustausch durch die Bereitstellung von Wohnraum für die Musikstudenten der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden. Die Leitung der Stiftung liegt ebenfalls seit ihrer Gründung in meinen Händen.
Voraussichtlich 2022 werden die gesamten Arbeiten am Dresdner Neumarkt abgeschlossen sein. Für die letzten Areale sind die Planungen bereits abgeschlossen. Die Gesamtwiederherstellung, einschließlich des Wiederaufbaus der Frauenkirche, wird dann schätzungsweise 1 Milliarde US Dollar gekostet haben. Schon heute, noch vor seiner Fertigstellung, ist der Dresdner Neumarkt der meistbesuchte Platz von Dresdnern und Touristen. Nicht umsonst wird dieser Platz als „Herz und Seele“ der Stadt Dresden bezeichnet. Hier verbindet sich Identität mit dem bürgerschaftlichen Geist und Engagement.
Seit 2011 bemühe ich mich mit dem Verein auf der gegenüberliegenden Elbseite um eine Wiederherstellung der ehemaligen Strukturen. Es handelt sich nach dem Altmarkt und Neumarkt um den drittwichtigsten Platz in Dresden, den Neustädter Markt. Im Mai dieses Jahres wird dort ein großer internationaler zweistufiger Wettbewerb starten. Wir hoffen, dort einen weiteren Beitrag zur Urbanisierung dieses heute noch durch eine große Fernverkehrsstraße zerschnittenen Areals leisten zu können und den Platz in Zukunft wieder mit traditionalistischer, kleinteiliger Bebauung und einigen wenigen Rekonstruktionen wiederherzustellen.
Mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche und des Dresdner Neumarktes wurde ein enormer Beitrag für eine Diskussion über unser Erbe geleistet. Überall in Deutschland gibt es inzwischen Rekonstruktionsbemühungen. So wurde in Potsdam das Stadtschloss von Friedrich dem II. wiederhergestellt, am Turm der Garnisonskirche war gerade Grundsteinlegung. In Berlin erwarten wir die Wiederherstellung des Berliner Stadtschlosses im Jahr 2019. Man diskutiert in Berlin, allerdings schon seit Jahren, über die Wiederherstellung der Bauakademie von Friedrich Schinkel und der Berliner Altstadt. In Frankfurt wird im Herbst dieses Jahres ein Areal zwischen Dom und Römer übergeben werden, welches traditionalistische Architektur mit einigen wenigen Rekonstruktionen beinhaltet. Es ist etwas in Deutschland in Bewegung gekommen, das nicht mehr aufzuhalten sein wird – es wird wieder über Tradition im Städtebau und in der Architektur gesprochen. Die Moderne hat zum großen Teil abgewirtschaftet, sie kann die Menschen kaum noch mit ihren gebauten Antworten überzeugen. Wir waren in der glücklichen Lage, sowohl in Frankfurt als auch in Berlin und Potsdam an dieser Entwicklung teilzuhaben und Hilfestellungen den Politikern, den Baufachleuten und den Bürgern zu geben, aus den Erfahrungen, die wir in Dresden gemacht haben.
Ich möchte schließen mit den Worten des renommierten Architekten Christoph Mäckler. Er hat eine sehr passende Analyse der heutigen Situation geliefert. Er sagte: „Wenn wir landauf, landab Häuser, ja ganze Stadtteile historisch neu errichten, so ist dies nichts als ein hilfloser Aufschrei einer Gesellschaft, die nach städtischer Geborgenheit in städtischen Räumen sucht, einer Geborgenheit, die wir Architekten unserer Gesellschaft offenbar in den vergangenen Jahrzehnten vorenthalten haben. Solange wir dies nicht verstehen, wird unsere Architektur belanglos bleiben.“ Man muss dabei wissen, dass Christoph Mäckler selbst der Moderne verpflichtet ist.
Sehr geehrte Jury, sehr geehrter Herr Driehaus, vielen Dank nochmals für diese Auszeichnung, welche mich sehr berührt. Vielen Dank!
Deutscher Redetext (PDF)
Englischer Redetext (PDF)
Copyright der Fotos: Driehaus Foundation Chicago/University of Notre Dame
Jury mit den Preisträgern des Driehaus-Preises Nada Breitman-Jakov und Marc Breitman (rechts vorn) und des Henry Hope Reed Preises Torsten Kulke (mitte vorn).
(von links nach rechts) Torsten Kulke, Richard H. Driehaus (Auslober) und Michael Lykoudis (Dekan der School of Architecture der Universität of Notre Dame)