Sächsische Zeitung vom 04.05.2017
Im Quartier an der Schloßstraße wird das letzte noch freie Areal am Dresdner Neumarkt bebaut. Verschiedenste Architekturstile treffen aufeinander. Im Herbst soll es losgehen – und so wird es aussehen.
Von Lars Kühl
Schuld ist der Kulturpalast. Der ostmoderne Bau sorgt dafür, dass jetzt am historischen Neumarkt eine Straße gestaltet wird, die es bis zur Errichtung des gerade wieder eröffneten Solitärs überhaupt nicht gab: die Rosmaringasse. Zwischen Schloßstraße und Schössergasse bildet die Verbindung die Südseite des letzten, städtischen Grundstücks am Neumarkt, welches noch bebaut wird und das sich bis zur Sporergasse erstreckt. Wie die Fassade dieses Quartiers einmal aussehen wird, war ein Geheimnis. Am Mittwoch wurde es gelüftet.
Rosmaringasse: Die Fassade bricht zwischen modern und klassisch
Das Ergebnis ist ein Novum am Neumarkt, betonte Berndt Dietze, Geschäftsführer des Bauherrn Baywobau Dresden, bei der Vorstellung. Aus dem Werkstattverfahren mit fünf Architekturbüros hatten sich zwei Favoriten herauskristallisiert: Knerer & Lang mit einem klassischen, historisch anmutenden Entwurf sowie Wörner Traxler Richter mit einem modernen Vorschlag. Sie gefielen den Gutachtern so gut, dass es bei der Abstimmung zu einem Patt kam.
Deshalb entschloss sich der Bauherr in Absprache mit dem Stadtplanungsamt, beide gemeinsam auf der Rosmaringasse sowie den Ecken zur Schloßstraße und der Schössergasse zu verwirklichen. So bekommt die Verbindung eine gebrochene Fassadenstruktur, die die den kleinteiligen Charakter des Neumarkts unterstreichen soll.
Schloßstraße: Drei Leitfassaden ahmen den historischen Straßenzug nach
Entlang der Schloßstraße, die vom Altmarkt aus mit Blick zum Georgentor eines der beliebtesten und bekanntesten Fotomotive Dresdens abgibt, erhält das Quartier mit dem künftigen Namen „Schloßeck“ (fast) sein historisches Aussehen vor der Zerstörung im Februar 1945 zurück. Nach dem neuen, klassischen „Knerer & Lang-Haus“ schließen sich zwei Leitfassaden an. Zum einen die Hausnummer 26, ursprünglich ein dreigeschossiges, spätgotisches Gebäude, um 1480 errichtet, welches 1911 durch einen Neubau im Jugendstil ersetzt und um zwei Etagen aufgestockt wurde. Haus Nummer 28 war ein Fünfgeschosser, vermutlich zwischen 1660 und 1680 hochgezogen. Markant war ein Erker über zwei Etagen. Zum Objekt gehörten Portale aus der Renaissancezeit, die zum Beispiel den Treppenaufgang zierten. Teile wurden bei der Beräumung der Kriegstrümmer gefunden, aufgehoben und werden nun in die Rekonstruktion integriert.
Das Fürstliche Haus an der Ecke zur Sporergasse zählte mit seinem wertvollen Erker zu den architektonischen Höhepunkten am Neumarkt und soll es nach dem Wiederaufbau auch wieder sein. Wahrscheinlich Ende des 15. / Anfang des 16. Jahrhunderts errichtet, wurde es mehrfach umgestaltet. Den Namen erhielt es wegen eines Reliefs, welches an der Brüstung angebracht war und heute nach seiner Bergung im Stadtmuseum liegt. Es zeigt den Kurfürsten Christian II. (1583 bis 1611) und seine Gattin Hedwig, eine geborene Prinzessin von Dänemark. Das Wandbild soll wieder an das Fürstliche Haus angebracht werden.
Schössergasse: Eine Ausstellung zeigt Fundstücke von den Ausgrabungen
Zur Schössergasse hin gab es früher von der Schloßstraße ein „Durchhaus“. Die Gebäudeteile bildeten einen zentralen Innenhof. Die Grundrissstruktur soll wieder aufgenommen werden. Bemerkenswert war der östliche Abschluss mit einer mehrstöckigen Arkadengestaltung und Rundbögen. Auch diese Elemente lässt Baywobau im Durchgang wieder herstellen.
An der Ecke von der Rosmarin- zur Schössergasse wird unter dem modernen Neubau die Einfahrt für die Tiefgarage mit ihren 54 Stellplätzen sein. Um die zu verdecken, hat sich Dietze etwas Besonderes für die Ladenfront überlegt. In großen, von außen einsehbaren Vitrinen wird eine Dauerausstellung eingerichtet. Dresden, vor und nach der Zerstörung in der Bombennacht am 13. Februar 1945, ist das Thema. Neben Fotodokumenten werden zudem Fundstücke gezeigt, die bei den archäologischen Ausgrabungen am Neumarkt, aber auch auf dem Baywobau-Grundstück an der Wallstraße gefunden wurden.
Das Caesarsche Haus als Leitgebäude schließt sich an. Es wurde 1781 von Samuel Locke gebaut – mit der Eleganz eines herrschaftlichen Bürgerhauses, ausgedrückt durch den zurückhaltenden Einsatz von Schmuckwerk über den Fenstern. Originale Grundrisse sollen wieder aufgenommen werden. Deshalb ziehen hier später auch Büros ein, für Wohnungen wären die Zuschnitte ungeeignet.
Sporergasse: Leitgebäude flankieren einen Einschub mit LochfassadeIn der engen Sporergasse umrahmen das Caesarsche und das Fürstliche Haus einen Mittelbau mit Lochfassadenoptik. Der moderne Einschub lehnt sich in der Gliederung und den Proportionen am Fürstlichen Haus an. Der Dresdner Maler Michael Freudenberg verziert verschiedene Elemente an den Fenstern und im Erdgeschoss. Während die Obergeschosse für 53 Zwei- bis Fünfraumwohnungen mit 60 bis 150 Quadratmeter Wohnfläche vorbehalten sind, sollen Parterre Läden einziehen. Die Front gegenüber des Kulturpalasts ist einem Restaurant vorbehalten. Baywobau will über 36 Millionen Euro investieren. Im Juni soll die Baugenehmigung beantragt werden. Im Herbst könnte Baustart sein. Für Ende 2019 ist geplant, das Quartier „Schloßeck“ fertigzustellen.
© Visualisierung: Baywobau/iproconsult
So soll das Quartier „Schloßeck“ einmal aussehen. In der Mitte wird die dem Kulturpalast gegenüberliegende Fassade einen modernen und klassischen Stil verbinden.
Weitere Viusalisierungen: www.sz-online.de/nachrichten/schlusspunkt-am-neumarkt-3672926.html
Kommentar: Brücke vom alten zum neuen Neumarkt
SZ-Redakteur Lars Kühl über die Entwürfe für das Schloßeck-Quartier.
Das Beste kommt zum Schluss. So zumindest sieht es die Baywobau, Investor für das neue Schloßeck-Quartier. Doch dieser Meinung zuzustimmen oder sie abzulehnen, ist nicht einfach. Zu komplex war die Aufgabenstellung bei dem Vierseithof mit Durchgang. Für die rekonstruierten Häuser als Hingucker wird es viel Anerkennung geben. Zu Recht!
Hinter dem Kulturpalast mussten sich die Planer aber etwas einfallen lassen. Einigen konnten sie sich nicht. Deshalb erhält der neue Straßenzug jetzt zwei Gesichter. Ob beide gefallen, muss jeder für sich entscheiden. Den kleinteiligen Charakter des Neumarkts unterstreichen sie aber allemal. Das macht auch der moderne Einschub zwischen dem Caesarschen und dem Fürstlichen Haus. Zwar darf sich ein Künstler an der Gestaltung versuchen, mit Originalität kann der Mittelbau aber nicht überzeugen.
Dafür erfreut eine andere Idee umso mehr. Die Ausstellungsvitrinen mit Fundstücken und Bildern vom alten Dresden könnten eine gelungene Brücke vom alten zum neuen Neumarkt schlagen.
Das „Schloßeck“ wird den Wiederaufbau am Neumarkt beschließen, abgesehen vom Quartier Hoym hinter dem Polizeipräsidium. Schon jetzt ist es eine schöne Vorstellung, wie die Fotos auf der Schloßstraße mit dem Georgentor im Fokus künftig aussehen werden.