Dresdner Neueste Nachrichten vom 6.11.2019
Schweres Unterfangen: Eine Podiumsdiskussion der Neumarkt-Gesellschaft mit Bauexperten aus Dresden und anderswo versucht sich in einer Bilanz der letzten 30 Jahre Stadtentwicklung. Das stößt an Grenzen.
Dresden. Den Rahmen gab Neumarkt-Schützer Torsten Kulke schon vor. Um nichts Geringeres als eine „Bestandsaufnahme für die Entwicklung seit dem Mauerfall, welche Chancen gab es, was ist passiert“, sollte es in der Veranstaltung „30 Jahre Mauerfall – ein (Bau) Rückblick“ gehen, erklärte der Vorstand der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden (GHND).
Deren „kleine Tochter“, die Kulturstiftung Historisches Bürgerhaus Dresden (KHBD), hatte dazu unter anderem Ingolf Roßberg, nach der Wende der erste Dezernent für Stadtentwicklung in Dresden und später auch Oberbürgermeister der Stadt, in den Festsaal des Rathauses eingeladen. Roßberg, der durch Mauscheleien seines Fluthilfe-Koordinators Rainer Sehm sein Amt verlor, kühlt sein Mütchen vor allem an den „Wessis“, die nach der Wende „hier einflogen“, und den Dresdnern erklären wollten, wie die Stadt zu sanieren sei. Er habe sich widersetzt und darauf beharrt, dass „Dresden wieder eine der schönsten Städte werden soll“.
Der zu Beginn gezeigte Film „Dresdner Interregnum 1991“ von Werner Kohlert machte verständlich, warum die Leute damals allen Grund hatten, sich bei diesem Ziel an den Kopf zu fassen, wie Roßberg heute gern erzählt. Verfall im Zentrum, Verfall in der Neustadt und selbst die neugebauten Plattenbauten in Gorbitz wirkten schon irgendwie heruntergekommen.
„Gewaltige Aufbauleistung, die heute viel zu wenig gewürdigt wird“
Unter dem euphemistischen Titel „Konzentration auf die innerstädtischen Neubaustandorte“ sei in den letzten Jahren das Plattenbaukonzept für die Neustadt schon fertig gewesen. „Nichts wäre dort stehen geblieben“, erinnerte Roßberg vor einer bescheidenen Zahl an Zuhörern an die Pläne aus der DDR-Zeit. Im gleichen Jahr, als der Kohlert-Film entstand, beschlossen Kirche und Stadt dem Wunsch vieler Bürger nach dem Wiederaufbau der Frauenkirche zu folgen. Für die ganze Stadt nahm damals das seinen Lauf, was GHND-Vorstand Kulke eine „gewaltige Aufbauleistung“ nennt, die heute „viel zu wenig gewürdigt wird“.
So wurde auch der Impuls gesetzt für den Wiederaufbau des Neumarkts. Der in den Augen von Ulrich Schönfeld, Mitglied der Geschäftsführung des beteiligten Planungsunternehmens IPROconsult, nicht zuletzt mit einem 25-prozentigen Wohnungsanteil von seiner Durchmischung beflügelt werde und „alles andere als traditionalistisch“ sei.
Dass Stadtentwicklung noch schwieriger sein kann, wenn ein prägender Rahmen wie ein Frauenkirchen-Projekt fehlt, zeigte Stefan Szuggat, aktueller Leiter des Stadtplanungsamtes, am Beispiel des Straßburger Platzes. Im Spannungsfeld zwischen dem Bau-Bestand aus DDR-Zeiten, der Marktsituation für Büroflächen und dem finanziellen Spielraum von Investoren sei dort eine „im Maßstab gerechtfertigte Architektur“ mit „richtiger Nutzungsstruktur“ entstanden.
Deutlicher sprach Andreas Weise seine Unzufriedenheit mit dem Ergebnis am Postplatz aus. Der Architekt hatte sich erfolglos am Wettbewerb für das Gelände in der Nähe des Zwingers beteiligt und für die Bilanz-Veranstaltung im Rathaus nochmal alle 60 Architekten-Beiträge aus den 90er Jahren dafür unter die Lupe genommen. „Da hätte etwas ganz anderes daraus werden können.“
Hoffnung für den Postplatz
Das Potenzial sei nie wirklich für die Stadt nutzbar gemacht worden, sagte Weise und lobte vor allem Entwürfe mit viel Grün und viel Wasser, wie es beispielsweise auch sein Projekt mit einem „Canale Grande“ (Szuggat) vom Zwinger-Teich bis zum Dippoldiswalder Platz vorgeschlagen hatte. Heute sieht Weise das selbst kritisch, was laut Stadtplanungsamtschef für Dresden gar nicht zu finanzieren gewesen wäre.
Letztlich dauerte es auch 15 Jahre, bis sich Investoren fanden, um ein immer weiter verändertes Konzept umzusetzen. Es sei ein „zusammengesetztes Fragment“ entstanden und versucht worden, das Beste daraus zu machen, sagte Szuggat später. „Da Städtebau eine Sache von Jahrhunderten ist, können wir noch für den Postplatz hoffen“, scherzte Weise.
Neumarkt ein Vorbild für viele andere Städte
Jürg Sulzer, zeitweise Stadtplaner von Bern und Professor an der TU Dresden, hält in der von der Dresdner Journalistin Bettina Klemm moderierten Diskussionsrunde mit seiner Kritik am Postplatz auch nicht hinter dem Berg. „Das ist nicht das, was man auf einen innerstädtischen Platz bringt.“
Der Chef der Gestaltungskommission in Dresden, die Bauprojekte bewertet, aber auf den Kooperationswillen der Investoren angewiesen ist, will aufgrund all der Umstände nicht urteilen, sondern vor allem darauf schauen, was aus der Entwicklung in Dresden und anderswo gelernt werden kann. „Das ist viel wichtiger, als den Daumen zu heben oder zu senken.“ Man müsse ein Bild davon haben, was Stadtraumqualität sein könnte. Dresden habe mit dem Neumarkt ein Vorbild für viele andere Städte geschaffen. Das Wichtigste sei jedoch: „Die Bürger müssen ihre Stadt als Heimat empfinden.“
Von Ingolf Pleil
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