Blobel kontert

Der Nobelpreisträger will Dresdens erstes Kaufhaus wiederaufbauen. Um neue Proportionen gibt es Streit am Neumarkt.

Sächsische Zeitung vom 02.03.2017

Lange war das Aussehen des Gebäudes von Nobelpreisträger Günter Blobel das letzte große Geheimnis am Neumarkt. Vorige Woche hat er es mit seinem Architekten Michael Kaiser gelüftet. Neben vielen „Ahhs“ gab es dann einige „Ohhs“ und schließlich auch ordentlich Kritik an der Blobelschen Version eines Stadthauses. Der Gegenwind war viel stärker, als es der historisierende Entwurf, angelehnt an den Vorgängerbau „Au petit Bazar“, vermuten ließ. Besonders die Gesellschaft Historischer Neumarkt (GHND) als Aufpasser über die Entwicklungen auf Dresdens Vorzeigeplatz sparte nicht mit Argumenten, warum ihnen die vorgestellte Variante trotz allen Bemühens, den alten Geist des ehemaligen Kaufhauses mit seinen Einflüssen aus Antike, Gotik und Renaissance wieder aufleben zu lassen, nicht zusagt.

Architekt Kaiser kontert jetzt die Kritik in Absprache mit Blobel, der in New York lebt. Besonders dem Vorwurf, das Gebäude würde künftig ein Flachdach aufweisen, tritt er entgegen. Dabei handele es sich um eine begehbare Terrasse, wie sie es inzwischen auf mehreren Objekten am Neumarkt gebe. Die Fläche liege um einen Meter tiefer als die vom Neumarkt aus sichtbare oberste Dachkante und soll rote Platten bekommen, die von oben wie Ziegel anmuten. Außerdem wird es noch Brüstungen rundherum geben. Kaiser tituliert die von der Neumarkt-Gesellschaft formulierte Regel, dass Flachdächer am Neumarkt aus städtebaulich-gestalterischer Sicht nicht zugelassen sind, als „ahistorische Wunschvorstellung“. Als Beispiele nennt er das Verkehrsmuseum, Teile des Zwingers, das alte Dinglingerhaus in der Frauenstraße mit seinem Hofflügel. Vielmehr hätten den Platz vor der Zerstörung bei den Bombenangriffen 1945 zahlreiche Licht- und Hinterhöfe geprägt. Die müssen von den Türmen, wie dem auf der Frauenkirche, als Flächen, also dachfrei, gewirkt haben.

Beim „Au petit Bazar“, welches der Architekt Heinrich Hermann Bothen im Auftrag des Kaufmannes Joseph Meyer bis 1851 mit klassizistischen Elementen errichten ließ, war dies auch der Fall. Die zwei wuchtigen Schaufensterreihen in den untersten Etagen umschlossen einen Hof, in den durch das offene Dach das Tageslicht einfiel.

Der Bau eines Pavillons auf der neuen Terrasse ist für die GHND ebenfalls ein Problem. Dabei seien die für den Neumarkt sogar typisch, hält Kaiser dagegen, auch wenn auf dem „Au petit Bazar“ früher keiner stand. Das Dinglingerhaus an der Frauenstraße hätte einen gehabt, auch das sogenannte Regimentshaus. Letzteres ist ein Leitbau des zentralen Vierseithofes, zu dem das Blobel-Haus an der Ecke zur Frauenstraße gehört. Die restlichen neun der insgesamt zehn Objekte lässt Unser Schönes Dresden (USD) bauen. Das Unternehmen plant wieder mit einem Belvedere, also einem großen Dachpavillon, auf dem Regimentshaus.

Die zwei Schaufensterreihen des alten Kaufhauses will Blobel nicht in voller Größe wiedererrichten. Die unterste soll original rekonstruiert werden, einschließlich des Zierbalkens darüber. Die obere wird nur angedeutet, soll aber als prägendes Element erhalten bleiben, erklärt Kaiser. Das Balkonband schließt sich, wie früher, über den Schaufenstern an. Das bedeutet, dass es beim Neubau deutlich tiefer liegt. Wie beim Original werden die Austritte auf der Front zum Neumarkt hin von sechs Frauenfiguren „getragen“. Kaiser sagt, Blobel versucht, sich damit in die Denkweise des früheren Architekten zu versetzen. „Wenn der Besitzer des ;Au petit Bazar‘ damals statt zweier Ladengeschosse ein höheres Erdgeschoss verlangt hätte und höhere Wohngeschosse, hätte Hermann Bothen sein Fassadenkonzept ganz genauso entwickelt und nur eben mit diesen etwas veränderten Maßen versehen.“ Eine Stimmigkeit zum Nachbargebäude der USD könne nicht erreicht werden, denn dort wird jetzt eine Etage mehr in die ursprüngliche Gebäudehöhe gepresst. Blobel lässt dagegen seine drei Wohngeschosse strecken, um Raumhöhen von über drei Meter für seine geplanten Komfortwohnungen zu erhalten.

Durch die Reduzierung der Schaufensterfront wirkt das Gebäude nun in seinem neuen Proportionsverhältnis von 1:2 zwischen Laden- und Wohnbereich vorteilhafter, argumentiert Kaiser. Vorher wurde die Fassade in der Senkrechten fast mittig geteilt. Blobel und sein Architekt sind der Meinung, dass die Anpassungen zeitgemäß und trotzdem eine Hommage an die Zeit von Gottfried Semper sind, in dessen Sinne Hermann Bothen das „Au Petit Bazar“ entwarf. Nicht zuletzt, weil die damalige, aus heutiger Sicht „ökologische Bauweise“, angewandt wird: also 60 Zentimeter dicke Ziegel- statt mehrschichtige Betonwände.

 

Visualisierung 1
Das originale „Au petit Bazar“ hatte zwei wuchtige Schaufenstergeschosse. Das Verhältnis zwischen Laden- und Wohnbereich war bei der Fassade fast 1:1.
© Visualisierung: arte4d

Visualisierung 2
Der geplante Neubau hingegen erhält ein Staffelgeschoss. Auf das Dach kommt eine Terrasse mit Pavillon. Die Proportionen sollen so stimmiger wirken.
© Visualisierung: arte4d


 


Ansicht des geplanten Eckgrundstückes Neumarkt / Frauenstraße
© Visualisierung: arte4d

 


Blobel-Architekt kontert GHND-Kritik

„Ahistorische Wunschvorstellungen“: Der Streit um das Kaufhaus „Au petit Bazar“

DNN vom 11./12.03.2017