Der heutige Neustädter Markt – ein Symbol der autogerechten Stadt

 

Erstmals erschienen im Neumarkt-Kurier 1/2020

Von Torsten Kulke

Abb. 1: Der autogerechte Neustädter Markt im Jahr 1982. (Quelle: Bundesarchiv, CC BY-SA 3.0 DE)

Vier Autospuren, separate Gleisbettanlagen für die Straßenbahnen, keine Fahrradwege, wenig Aufenthaltsqualität nicht nur wegen der nicht instand gesetzten Brunnen und unsanierten Plattenbauten – das ist heute der drittwichtigste Platz in Dresden – der Neustädter Markt. August der Starke schaut diesem Verkehrstreiben hinter seinem Rücken zu und kann sich seit über 40 Jahren nicht dagegen wehren. Dabei war bereits seit den 1910er Jahren klar, dass es eine andere Verkehrslösung geben muss. Die Diskussion mündete damals in eine Hochuferstraße. Diese blieb uns auf Grund sich ändernder Grundauffassungen und wegen Geldnöten erspart. Von den verheerenden Zerstörungen 1945 blieb auch der Neustädter Markt und mit ihm die anliegenden Straßenzüge nicht verschont. Jedoch sollte die Große Meißner Straße wieder aufgebaut werden. Die SED-Bauplanung ließ 1950 alle bereits gesicherten Bauruinen abräumen und schuf Tabula rasa – ein steppenhaftes Nichts, wie an so vielen Orten in dieser Stadt. Aufbauwillige Eigentümer wurden vertrieben und enteignet.

Erst 1967 schuf der „Chefberäumer Dresdens“, Kurt W. Leucht, mit dem Generalbebauungs- und -verkehrsplan die entsprechenden Voraussetzung für eine erneute Bebauung. Ganz im Zeichen des damaligen Ideals der autogerechten Stadt zelebrierte er für den Platz unter weiteren Abrissen von Altbausubstanz der Inneren Neustadt eine bis heute erhaltene Fernverkehrsstraße mit einer angeschlossenen Platzanlage. Die sich anschließende Bebauung bestimmte, auf Grund technischer Notwendigkeiten von Länge und Höhe der industriell in Plattenwerken hergestellten, also vorgefertigten Teile (Platten), die Größe dieser Platzanlage. Etwas anderes war schlicht nicht möglich. Einzig die Arkadenlösung stellte eine Besonderheit dar. Für diesen Aufwand musste aus finanziellen Gründen auf Balkone im damaligen Neubaugebiet Prohlis verzichtet werden. Hinter dieser neu geschaffenen Fassade aber verfielen die Barockbauten, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten, zusehends zu Ruinen. Einzig einige Häuser konnten in der Straße der Befreiung instand gesetzt werden. Welche Ironie: Die wieder ansehnlich gewordenen Barockbauten bewirkten für den Passanten auf der Straße der Befreiung eine Befreiung von der Sicht auf die ruinöse Altbausubstanz! Die Dresdner waren froh, diese Schandflecken ihrer Stadt fortan nicht mehr sehen zu müssen, und feierten dementsprechend auch die Eröffnung dieser Straße.

Heute nun gibt es einige restauratorische Kräfte – die meisten von ihnen waren wohl kaum mit der DDR auf Tuchfühlung gekommen –, die daran arbeiten, dies als Ikone der DDR-Ostmoderne darzustellen. Das ist schon komisch, wenn man die gesamte Entstehungsgeschichte kennt.

Der Wiederaufbau des Neustädter Marktes ist seit 1990 vom Stadtrat beschlossene Sache. Dazu gab es mehrmals überarbeitete Rahmenpläne (Rahmenplan 715). Erstmals wurde einer unter Jörn Walter, dem damaligen Stadtplanungsamtsleiter und späteren Oberbaudirektor von Hamburg, aufgestellt. Später (2002) wurde dieser unter dem damaligen Baubürgermeister Gunter Just angepasst.

Seit 2011 versucht auch die Gesellschaft Historischer Neumarkt dem Platz wieder mehr Urbanität einzuhauchen. Dazu konnte sie das an die Technische Universität Dortmund angeschlossene Deutsche Institut für Stadtbaukunst gewinnen. Mit über 60 Studenten, die dazu Bachelor- und Masterarbeiten ausarbeiteten, wurden Pläne für den Neustädter Markt gemacht, welchen den Grundsatz einer Bebauung bestätigten. Auch als 2019 ein mit einer nie dagewesenen öffentlichen Beteiligung stattgefundener Wettbewerb zu Ende ging, waren die Siegerentwürfe von Bernd Albers (1. Preis) und Marc Jordi (2. Preis) von einer Bebauung überzeugt. Einzig in der Breite der Verkehrstrassen und der Parzellenbreite unterschieden sie sich.

Abb. 2: 1. Preis (Bernd Albers), Straßenabwicklung Köpckestraße Südseite (Richtung Elbe).

Abb. 3: 2. Preis (Jordi, Keller, Pellnitz), Straßenabwicklung Köpckestraße Nordseite nach Osten hin (vom Neustädter Markt bis Carolaplatz).

Abb. 4: 2. Preis (Jordi, Keller, Pellnitz), Nordseite Große Meißner Straße nach Westen hin.

Ziel war es immer, dem Platz seine Urbanität zurückzugeben und ihn mit dem dahinterliegenden Teil der Inneren Neustadt zu „verzahnen“. Dazu soll es nach dem Willen einiger Stadtpolitiker aber nicht kommen. Sie wollen im Rahmen eines vorgeschobenen „Freiraumwettbewerbes“ den Erhalt dieser autogerechten Platzanlage durchsetzen. Dazu soll das jetzt gefundene Wettbewerbsergebnis, mit dem Hinweis, dass sich bereits im Wettbewerb Stimmen negativ gegenüber einer Bebauung äußerten, negiert werden.

Die Zeit wird zeigen, ob August der Starke wieder auf (s)einem Platz stehen wird oder vielleicht in einem Wald. Immerhin, er war ein großer Jagdfreund.