Der Schöngeist vom Neumarkt

Investor Arturo Prisco will mit allen Dresdnern den Geburtstag seines QF feiern. Anlass zur Lebensbilanz: Haben sich seine Visionen für die Stadt erfüllt?

Von Katrin Saft

SZ vom 21.10.2016

„Hey, Jungs, Rauchen ist ungesund“, sagt Prisco. Und bevor er im QF-Hotel verschwindet, klopft er einem der Jüngelchen noch väterlich auf die Schulter. Das vergisst das Motzen vor Schreck. Typisch Prisco. Der Italiener scheut die Menschen nicht. Er geht auf sie zu, diskutiert mit ihnen – egal, ob pubertärer Raucher, millionenschwerer Bauherr oder vom Weg abgekommener Pegidist. „Mit Kommunikation lassen sich Probleme lösen“, sagt er. Und seine Lebensgeschichte scheint ihm recht zu geben.

Am Donnerstag lädt Arturo Prisco zum zehnten Geburtstag des Quartiers an der Frauenkirche, kurz QF – und alle Dresdner sollen mit ihm feiern. Mit Prisco, dem Italiener, der vor 21 Jahren seine Liebe zu Dresden entdeckte. Damals wurde er von einigen noch als Märchenonkel belächelt oder gar als Mafioso verdächtigt. Zu gut, um wahr zu sein, klangen seine Geschichten für die neue kapitalistische Welt. Der Investor mit Geld, dem es nicht ums Geld, sondern um Ästhetik und Qualität geht – um eine würdige Fassung für das Juwel Frauenkirche zum Beispiel.

Die Fassung steht längst, als hätte es an dieser Stelle nie Tristesse gegeben. Und trotzdem soll das zehnte Jubiläum ein außergewöhnliches Fest werden. Denn das QF ist ein außergewöhnliches Quartier. Es war das erste große Bauvorhaben am Neumarkt, eine Art Leitquartier, das Maßstäbe setzen sollte. Für Prisco, der im November 73 Jahre wird, Anlass für ein Resümee: Was ist aus seinen Träumen geworden?

„Als ich nach Dresden kam, waren die Menschen euphorisch, voller Hoffnungen und Erwartungen“, sagt Prisco. Er kaufte eine heruntergekommene Villa an der Bautzner Straße, sanierte sie und fing an, in München von Dresden zu schwärmen. Dort war er nicht nur glücklich verheiratet, sondern längst geschäftlich erfolgreich. Auf seiner privaten Stoffmesse am Prinzregentenplatz trafen sich die Großen der Modebranche: die Chefs von Hugo Boss, Zegna, Marzotto. Prisco kennt sie alle. „Warum tust du dir das an – der Osten, Dresden?“, wurde er gefragt. „Eine Frage, die mich bis heute begleitet“, sagt er. Warum?

Prisco sanierte ein Gründerzeitensemble am Wallgässchen an der Königstraße und hoffte auf eine neue Edel-Einkaufsmeile. Die internationale Modewelt wollte er nach Dresden holen. Er müsse den Firmen nur die Schönheit der Stadt zeigen, dann kämen sie schon. Die Kaufkraft sei nur eine Frage der Zeit.

In dieser Hochphase stieg Prisco am Neumarkt ein – und bekam erstmals zu spüren, dass seine Ansprüche an Stil und Qualität nicht immer mit den Rendite-Vorstellungen von Bauherren vereinbar sind. Trotzdem blieb er sich treu. Geld und Luxus bedeuten für ihn niemals Protz. Er hasst Arroganz und ist lebendes Beispiel für Stil und Geschmack. Sein blauer Pullover wirkt auf den ersten Blick schlicht, auf den zweiten elegant: feiner Kaschmir, perfekte Passform. Die Schuhe handgenäht. Der Name Prisco ist in Dresden zur Marke geworden.

Natürlich gab es Rückschläge. Die Absage für das Schloss Wachwitz zum Beispiel, das Prisco zum Mayr-Kurheim umbauen wollte. Die V.V.K. zu Dresden bot großspurig das Doppelte, bekam den Zuschlag – und ging pleite. „Warum, Prisco, tust du dir das an?“, fragten Freunde wieder.

Sein Gesicht verrät keine Sorgen. Prisco sieht heute immer noch gut aus: graue Haare, braune Augen, körperlich fit. Er ist der Gentlemen, wie Frauen ihn mögen: „Buon giorno! Wie geht’s?“ Und doch wirkt er anders als sonst, nachdenklicher. „Ich will etwas kürzertreten“, erklärt er, „und Verantwortung an Jüngere abgeben.“ Nein, es sei nicht das Alter. Vielleicht Enttäuschung.

Prisco träumte davon, aus dem Neumarkt eine Piazza zu machen und meint damit einen lebendigen Platz für die Dresdner. „Doch es wird hier immer nur über Fassaden geredet“, sagt er. Es fehle an einem gemeinsamen Konzept von Stadt und Investoren, das den Platz nicht nur für Touristen anziehend macht. Prisco vermisst Grün und Wasserspiele, Bänke und Sitzstufen, die zum Verweilen und Chillen einladen – kostenlos, ohne sich im Restaurant ein teures Getränk zu bestellen. Es mangle an kleinen Läden, die auch für die Einheimischen interessant seien. Statt bezahlbarer Kneipen und Szenecafés seien viele Restaurants in der Hand von Großbetreibern, die von touristischen Preisen leben. Ein Glas Wein für 7,50 Euro. Prisco: „Warum soll ein Dresdner auf den Neumarkt kommen?“

Hat die Stadt anfangs penibel über Dresdens barocke Wohnstube gewacht, scheinen inzwischen die Sitten zu verfallen. Mitten auf dem Platz stehen gelbe Plastikbauzäune, die an Hässlichkeit kaum zu überbieten sind. Fliegende Händler breiten ihre billigen Malereien auf historischem Pflaster aus. An der ohnehin umstrittenen Betonfassade zum Kulturpalast preist eine geschmacklose Werbung eine Nudelkette, direkt neben denkmalgerechtem Stuck. Das schmerzt Prisco, den Schöngeist.

Und sein QF und die internationale Mode? Zweifellos, Prisco hat große Marken geholt: Bogner, Dolce & Gabbana, Gucci, van Laak, Glashütte, Lange & Söhne, drei exquisite Schuhläden, die er wie das QF-Hotel selbst betreibt. „Wir brauchen Top-Marken hier. Denn inzwischen gibt es auch Dresdner, die sich das leisten können und wollen“, sagt er. Und da ist er wieder, sein unerschütterlicher Optimismus. Dresden habe das Potenzial zu mehr. Doch Escada ist weg, auch Marina Rinaldi. Dafür kam La Boutique. Von der Maximilianstraße in München oder der Düsseldorfer Kö ist Dresden trotzdem Lichtjahre entfernt. „Das Geschäft hat sich verändert“, sagt Prisco. „Früher wurde langfristig gedacht. Mietverträge von zehn Jahren waren normal.“ Heute gebe es keine zwei Modekollektionen mehr im Jahr, sondern zehn oder zwölf. Alles sei schnelllebiger, flüchtiger.

Prisco ist jemand, der einen Laden lieber leer stehen lässt, als an jemanden zu vermieten, der nicht ins Konzept passt. „Gute Händler kommen nur, wenn das Umfeld stimmt“, sagt er. Es gibt noch freie Läden im QF. Doch die Wahl der Mieter liegt inzwischen nicht mehr allein in seiner Hand, sondern bei einer Dresdner Immobilienverwaltung. Gefühlt ist er aber immer noch die Seele des Quartiers.

Zu seiner Art zählt es nicht, öffentlich Kritik an seinem geliebten Dresden zu äußern. Prisco klärt die Dinge lieber im Stillen. Auch politisch hält er sich raus. Doch jetzt kann er nicht mehr. „Ich darf das sagen, ich bin Ausländer: Pegida muss weg vom Neumarkt!“ Der Imageschaden für Dresden sei gewaltig: „Ich schaue montags in die Gesichter und frage mich, wo all der Hass herkommt. Sind das dieselben Gesichter, die begeistert mit mir die Grundsteinlegung und Einweihung vom QF gefeiert haben?“ Gegendemos seien keine Lösung. Nur Kommunikation. „Wir müssen miteinander reden“, sagt Prisco und sprudelt los, als hätte er Frauke Petry persönlich am Tisch: „Ich bin 1980 von Italien nach München gekommen und damit auch ein Einwanderer. Ich habe versucht, Deutschland zu bereichern, indem ich Ideen und italienisches Flair mitbringe, das alle im Urlaub so lieben. Und ich habe hier Arbeitsplätze geschaffen – während Pegida Arbeitsplätze vernichtet.“ Er wünsche sich mehr kosmopolitischen Geist für Dresden: „Denn wer sich ein Getto schafft, wird auch immer im Getto bleiben.“

Wenn Prisco früher in München im „Schumann’s“ saß, ist er augenzwinkernd begrüßt worden: „Ach, der Dresdner kommt!“ Denn fast jeder dort kannte seine Schwärmereien für Elbflorenz. Jetzt heißt es wieder: „Arturo, warum tust du dir das an?“ Nur, dass in den Gesichtern kein Lächeln mehr ist. Eher Mitleid.

Warum also? Arturos Frau Helga mag kaum noch mit ihm nach Dresden kommen. Der weite Blick von der schönen Villa auf die Elbe entschädigt nicht mehr für die geistige Enge in der Stadt. Ein Flugticket mit Lufthansa von München nach Dresden und zurück koste 384 Euro und mehr. Dafür könnte sie fast nach New York fliegen. Der Zug, ein stundenlanges Glücksspiel, ob der Anschluss klappt. „Wie soll ich Leute nach Dresden bringen, wenn die Stadt schlecht angebunden ist?“, fragt Prisco.

Und trotzdem will er Dresden nicht den Rücken kehren. Er erzählt von seinem Opa, der immer gesagt habe: „Geht nicht, gibt’s erst, wenn du tot bist.“ Er liebe die Herausforderungen. Er werde sich wieder mehr in der Prisco-Passage am Wallgässchen engagieren. Er habe noch viele Ideen.

Tatsächlich aber sind es vor allem die Emotionen, die Prisco mit Dresden verbinden, die ihn halten: die Aufbruchstimmung nach der Wende, die großen Gefühle, als 15 000 Menschen vor dem fertigen QF standen und dem Feuerwerk zujubelten. Und genau deshalb soll auch der zehnte Geburtstag wieder eine emotionale Feier werden. Kein abgehobener Schickimicki-Empfang, auch keine billige Bierzelt-mit-Würstchen-Party. Beides mochte Prisco noch nie. Kunst für alle soll es geben, wie zur Eröffnung vor zehn Jahren – und wie es einer Kulturstadt gebührt. Dafür hat er den deutschen Multimedia-Künstler Michael Pendry gewonnen, der für seine Licht- und Videoinstallation international gefeiert wird. Pendry plant im QF eine Show, eigens für Dresden kreiert. Für Prisco selbst eine Überraschung. Nur das Thema hat er vorgegeben: Wie kann man das Quartier wachsen lassen? Auch Tom Röder, Priscos Lieblingskünstler, ist dabei. Ehemalige Wegbegleiter kommen: Ingolf Roßberg, Rolf Wolgast, Herbert Feßenmayr und wie sie alle heißen. Prisco bereitet eine Rede vor. Nein, kein Abschied von Dresden: „Frau Petry hat jetzt zwei Jahre Dresden gefeiert, für mich sind es über 20. Noch Fragen, warum ich hierher gehöre?“

10 Jahre QF für alle: am 27. Oktober ab 19.30 Uhr

SZ-Artikel und drei Fotos: http://www.sz-online.de/nachrichten/der-schoengeist-vom-neumarkt-3522345.html