Die letzte große archäologische Grabung am Neumarkt lässt einen Streifzug durch 800 Jahre Besiedlungsgeschichte zu.
Von Lars Kühl
Sächsische Zeitung vom 12.11.2016
Das Geschenk ist fürstlich, kurfürstlich sogar. Johann Georg I. macht es einem gewissen Michael Schulze. Sachsens Herrscher war 1611 an die Macht gekommen. Es ist die Zeit, als er ein Haus am Neumarkt kauft. Auf der prächtigen Schloßgasse, die davor Elbgasse genannt wurde und heute Schloßstraße heißt, an der Ecke zu Sporergasse. Auf der wohnten jahrhundertelang vor allem die Handwerker, die genau diese Metallteile für die Reitstiefel fertigten. Die Schloßgasse gehörte wegen ihrer Nachbarschaft zur Residenz zu den noch besseren Adressen in der Stadt. Johann Georg I. lässt das Haus, welches ursprünglich um 1500 im Spätgotik-Stil errichtet wurde, umbauen und schenkt es wenig später jenem Schulze, der sein Kammerdiener war.
Susanne Schöne blättert durch einen Ordner. Kurz hat sie im warmen Container nachgeschaut, wie es mit dem Eckgebäude war, das fortan als „Fürstliches Haus“ bezeichnet wurde. Sonst arbeitet die Grabungsleiterin fast den ganzen Tag im Freien. Seit zweieinhalb Monaten ist sie mit ihrem Zehn-Mann-Team im 7 380 Quadratmeter-Quartier hinter dem Kulturpalast, neben dem fast fertigen Jüdenhof, vor Ort. „Es ist schon etwas Besonderes, weil es die letzte große Grabung am Neumarkt ist.“
Die Archäologen wühlen sich mit Akribie und inzwischen viel Handarbeit bis zum Januar durch die Jahrhunderte, nachdem Bagger den Trümmerschutt beräumt haben. Die übrigen Kellergewölbe der im Februar 1945 zerstörten Häuser sind freigelegt. Mauern verschiedener Zeitepochen, zu erkennen an den unterschiedlichen Steinen und ihrer Struktur, kommen zum Vorschein. Angeordnet als Haus- oder Trennwand, aber auch als kreisrunde Brunnen und Latrinen. Was sich dazwischen sowie darin befindet, ist für die Wissenschaftler von höchstem Interesse. Mittlerweile steht fest, es wurden sogar Spuren aus der Zeit um 1200 nachgewiesen, also weit vor der Errichtung der bekannten Häuser auf dem Quartier und kurz vor der urkundlichen Ersterwähnung Dresdens.
Bei den Grabungen wird deutlich: Sowohl die alte Elb- als auch die Sporergasse durchzogen schon lange das Viertel. Das muss „hochexklusiv“ gewesen sein, schätzt Schöne. Keller aus Steinen konnten sich zunächst nur wirklich gut Betuchte leisten. Nachweise dafür gibt es jetzt schon für das 14. Jahrhundert. Damals, als das spätere Residenzschloss noch eine wehrhafte Burganlage war. Und noch etwas lässt seit Freitag auf reiche Ex-Bewohner schließen. Ein Krug ist aufgetaucht, aus Keramik, vollständig erhalten, vermutlich aus dem 14. Jahrhundert. So etwas gab es in ärmeren Gegenden nicht. Das passt zum Fund um 1920, als solch ein Gefäß auf einem Nachbargrundstück geborgen wurde – gefüllt mit Silber. Dieses neue aber war leer.
Hilfreich ist der Krug trotzdem. Wie auch die Scherben aus Glas und Keramik, Metallteile und sogar Bruchstücke von importiertem Porzellan aus China. Das Material wird schon teuer gewesen sein, dazu gesellen sich die ausgefallenen Formen der Gefäße und Gläser. Aber auch die Spuren des verheerenden Brandes nach der Bombennacht 1945 sind zu sehen: deutlich rot gefärbte Ziegel. An der Ecke Sporer-/Schössergasse, wo das adlige Wohnhaus stand, das 1781 als Rokokobau von der Familie Caesar errichtet wurde, fällt zudem eine blaue Tür auf. Das war der Ausgang eines Luftschutzkellers, der – und das ist bemerkenswert – bereits 1936 angelegt wurde.
Und noch etwas haben die Archäologen entdeckt: menschliche Knochen, sogar Schädel. Die werden im Vergleich zu den anderen Funden nicht ins Depot zur weiteren Untersuchung und Erfassung gebracht, sondern direkt der Kriminalpolizei und der Kriegsgräberfürsorge übergeben.
An der Ecke von der Schösser- zur Rosmaringasse ist ebenfalls eine Grube von den Archäologen ausgehoben. Bemerkenswert sind neuartigere Materialien, wie Bodenfliesen. Hier stand ein Bankgebäude, erklärt Schöne, errichtet um 1900. Es war einer der wenigen Neubauten am Neumarkt zu dieser Zeit. Vorher war dort ein Durchhaus – so bezeichnet wegen seines Durchganghofes mit seinen Arkaden.
Inwieweit die Funde bei der Bebauung des Areals aufgegriffen werden, steht noch nicht fest. Am Donnerstag entscheidet die Gestaltungskommission zusammen mit dem Investor Baywobau über das endgültige Aussehen des Quartiers. Zum Kulturpalast hin wird es wohl ein modernes Gesicht bekommen. Aber die andere Seite soll wieder so aussehen wie vor der Zerstörung.
Das Caesarsche Haus wurde bereits als Leitbau festgelegt. Aber auch das Fürstliche Haus bekommt seine alte Fassade, verspricht Geschäftsführer Berndt Dietze, der für 36 Millionen Euro 70 Wohnungen, elf Läden und eine zweigeschossige Tiefgarage bauen lassen will. Zur Rekonstruktion gehört ein auffälliger Erker. Auf einem der wertvollen Reliefs sind Kurfürst Christian II. und seine Frau Hedwig von Dänemark abgebildet. Diese Sandsteinbrüstung ist original erhalten – und bald wieder zu sehen?
Öffentliche Führung: 7. Dezember, 14 bis 16 Uhr
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Die Ausgrabungen hinter dem Kulturpalast sind in vollem Gange. Die Archäologen wie Ulrike Richter haben am Freitag das erste komplett erhaltene Gefäß entdeckt.
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(Schloßstraße vor 1945)
Siehe auch Artikel
DNN vomn 12.11.2016
Letzte große Grabung auf dem Dresdner Neumarkt
Bis Ende Januar 2017 graben Archäologen auf dem Dresdner Neumarkt hinter dem Kulturpalast. Sie hoffen auf Funde aus 800 Jahren Stadtgeschichte. Es sind die letzten großflächigen Ausgrabungen auf dem Neumarkt. 70 Wohnungen und 11 Läden sollen später auf dem Areal entstehen. Grundsteinlegung ist voraussichtlich im September 2017.