Stellungnahme zum Wettbewerbsverfahren Königsufer und Neustädter Markt

1 Nicht nachvollziehbare Kritik am Wettbewerbsverfahren

Im ordentlichen Wettbewerbsverfahren der Landeshauptstadt Dresden für die Neugestaltung des Königsufers und des Neustädter Markts wurden die Entwürfe des Büros Bernd Albers und der Architektengemeinschaft Jordi-Keller-Pellnitz mit den beiden ersten Plätzen prämiert. Die Jury war international, ausgewogen und hochkarätig besetzt.
Dennoch monierte die Bürgerinitiative ‚Neustädter Freiheit’ das Ergebnis in einem offenen Brief vom 1.3.2019. „Keiner der Beiträge mit höherem Freiraumanteil und lockerer Anordnung von Baukörpern“ sei in die engere Wahl gelangt. Dies werfe die Frage auf, ob es der Jury wirklich darum gegangen sei, „Ideen zur Diskussion zu stellen“, oder ob sie den Spielraum der Ausschreibung nicht nach einseitigen Kriterien verengt habe, anstatt die verschiedenen Ansätze abzuwägen. Kritik wird zudem von Wettbewerbsteilnehmern geübt, die bereits in der ersten Runde des Wettbewerbsverfahrens ausgeschieden sind. Letztere könnten sich allerdings bei festgestellten Unregelmäßigkeiten rechtliches Gehör auf dem üblichenWege verschaffen.
Der Vorwurf einer einseitigen Bewertung ist nicht nachvollziehbar. Selbstverständlich haben die Preisrichter kontrovers diskutiert und, wie üblich, zum Teil unterschiedlich gelagerte Entwürfe favorisiert. Die Mehrheit gelangte jedoch zu der Erkenntnis, dass das Königsufer wieder zu einem urbanen städtebaulichen Bindeglied zwischen Altstadt und Neustadt werden müsse und keine Stadtlandschaft mit diffundierenden Freiräumen im Sinne der 1960er und 1970er Jahre bleiben dürfe. Nichtsdestoweniger wurde den landschaftsgestaltenden Gesichtspunkten große Aufmerksamkeit geschenkt, auch im Hinblick auf die Anbindung an die weiterführende vorhandene Ufergestaltung. Eine weitere Rolle spielten Aspekte des Stadtklimas.

2 Die gravierenden städtebaulichen Mängel des derzeitigen Neustädter Markts

Noch mehr befremden Versuche, den Neustädter Markt zu einer qualitätsvollen Stadtarchitektur von internationalem beziehungsweise historischem Rang zu stilisieren, wie sie in einer Stellungnahme von Frau Prof. Dr. Erika Schmidt (Februar 2019) und auf der Webseite ‚Das neue Dresden’ (www.das-neue-dresden.de) unternommen werden.
Frau Prof. Schmidt bescheinigt der jetzigen Platzanlage eine Berücksichtigung historischer Strukturen und eine „harmonische Beziehung zwischen überkommenen und neu geschaffenen Elementen“ sowie ein Verwobensein „von Elementen aus dem 18. und 19. Jahrhundert mit zeittypischen Elementen der Freiraumgestaltung der 1970er Jahre“. In den sich trapezartig weitenden flügelartigen Kopfbauten sieht sie eine „Geste, die an geöffnete Arme erinnert“ und „auf den Fluss und die Elbfront der Altstadt ausgerichtet“ sei. Besonders kühn scheint die These, der Genius loci sei sensibel aufgegriffen worden, die damaligen Stadtplaner hätten mit „Gestaltungsmitteln der 1970er Jahre“ die „historischen Charakteristika“ des Stadtraums weiterentwickelt.
Ähnlich äußert sich ‚Das neue Dresden’. Anstelle der „maßstablosen Großraumplanungen der 1960er Jahre“ sei eine „differenzierte, komplexe Anlage aus historischen Altbauten und vielen neuen unterschiedlichen Typenbauten“ entstanden. Damit sei „ein beachtlicher Ausgleich geglückt als Balance zwischen Gegenwartsarchitektur, die das Beste aus standardisierten Platten herausholte und historischen Reminiszenzen mit dem Einbeziehen der vorhandenen barocken Bürgerhäuser“. Respektiert worden sei sogar von Anfang an die „strahlenförmig sich weitende Hauptstraße in ihren barocken Fluchtlinien“. Zwar seien die beiden vom Platz führenden Seitenstraßen aufgegeben worden, doch habe man dies als eine „Neuinterpretation mit eigenem Wert“ zu würdigen. Des Weiteren sei unter Einbeziehung des Neustädter Markts ein „öffentliche(r) Freiraum ohne jeden Autoverkehr“ entstanden, der sich großen Zuspruchs erfreue. Diese „Reurbanisierung im ehemals barocken Stadtkern“ gelte es in ihrer „städtebauliche(n) Qualität (…) als schöpferische Weiterentwicklung einer historischen Figur“ zu erhalten.
Den Ausführungen von Frau Prof. Schmidt und von ‚Das neue Dresden’ ist in vielfacher Hinsicht zu widersprechen. Zunächst fällt es schwer, von „Reurbanisierung“ oder „Neuinterpretation“ zu sprechen. Selbst wenn die „maßstablosen Großraumplanungen der 1960er Jahre“ mit ihren „immensen Flächenabrissen“ (‚Das neue Dresden’) in diesem Umfang nicht realisiert wurde und einige wenige Barockhäuser erhalten blieben, so sind die bleibende Schäden – auch in ihrer abgeschwächten Form – doch verheerend genug, um eine städtebauliche Korrektur zu erfordern. An einer per se schlechten Lösung festzuhalten, nur weil sie erstens eine noch schlechtere Lösung verhinderte, zweitens im Vergleich mit anderen städtebaulichen Missgriffen (‚Das neue Dresden’ führt zu Recht die Johannstadt an) nicht so gravierend ausfiel und weil sie drittens aus einer schlechten Bauweise (Plattenbau) das „Beste herausholte“, mutet sehr seltsam an. Tatsächlich können Zeitzeugen sich noch gut an die Rigorosität der städtebaulichen Eingriffe, sprich Abbrüche, zur Durchsetzbarkeit dieser Lösung erinnern.
Der bis dato erhoffte Wiederaufbau des Neustädter Rathauses (die Kelleranlagen sind noch heute weitgehend erhalten) wurde vom Tisch gefegt, desgleichen alle Einwände gegen die geplante brachiale Lösung, die außer dem Goldenen Reiter und der barocken Brunnenanlage einzig die Hauptstraße als Achse zum Albertplatz gelten ließ. Nur drei Bürgerhäuser und das (politisch positiv belegte) Kügelgenhaus durften saniert werden. Das übrige Barock- bzw. Gründerzeitviertel, das den Krieg als einziges Quartier aus dieser Zeit überstanden hatte, sollte städtebaulich möglichst „unsichtbar“ gemacht, durch Neubauten regelrecht verstellt werden. Darüber hinaus riegelten die Neubauten die Rähnitzgasse und die ehemalige Kasernenstraße ab. Diese aber bildete ursprünglich zusammen mit der Hauptstraße einen Dreistrahl (Patte d’oie) – ein elementares Motiv der barocken Stadtarchitektur, wie es uns auch in Rom (Piazza del Popolo), in Versailles und in Berlin (Belle-Alliance-Platz/Mehringplatz) begegnet.
Doch auch die Hauptstraße selbst orientiert sich nicht wirklich an der historischen Situation.
Zwar funktionieren die flügelartigen Kopfbauten in nördlicher Richtung als Entree, doch lassen sie den Stadtraum in gegenläufiger Richtung nach Süden hin ins Leere laufen. Angesichts der totalen Negierung dieses zentralen Motivs von einer „Neuinterpretation mit eigenem Wert“ zu sprechen, ist, gelinde gesagt, sehr euphemistisch.
Außerdem ist die neu geschaffene Freifläche in ihrer Ausdehnung viel zu groß, um den Goldenen Reiter angemessen zu fassen, der nun verloren auf dieser undefinierten Weite wirkt. Nichts zeigt dies deutlicher als der Vergleich mit dem historischen Platzraum, für den die Figur geschaffen wurde.
An dieser Stelle zeigt sich ein weiteres, ganz grundsätzliches Dilemma. Die Stadtplaner der 1960er und 1970er Jahre operierten im Osten wie im Westen mit Architekturmodellen und dachten Platzfiguren als abstrakt-geometrische Konfigurationen. Die Frage, wie Stadträume von den Personen, die sich realiter in ihnen aufhalten, wahrgenommen und erlebt werden, stellten sie sich nicht. Zwar wurden diese negativen Eindrücke durch die später angelegten und inzwischen sehr beliebten Platanenbosketts gemildert, da diese die Anspruchslosigkeit
der Platzwände teilweise gütig verdecken. Jedoch können sie das eigentliche Problem, die städtebauliche Qualitätslosigkeit der Anlage, nicht wettmachen. Dies vermögen auch nicht die beiden Brunnen, die innerhalb dieses Kontextes deutlich zu klein sind (wie groß und gewichtig Wasserspiele sein müssen, wenn sie einen Raum gestalten sollen, ist am Albertplatz ablesbar). Ebenso wenig könnte eine Korrektur durch die dringend gebotene Verengung der B 170 und die damit einhergehende Verschiebung der Platzkante nach Süden gelingen.
Um zu zeigen, dass der gegenwärtige Neustädter Markt trotz allem in der Tradition der europäischen Stadtbaukunst steht, hat Frau Prof. Schmidt in ihrer Stellungnahme auf mehrere historische Beispiele verwiesen. Zunächst impliziert der von ihr unterstellte „Gestus der offenen Arme“ eine Analogie zum Petersplatz in Rom. Doch anders als Berninis Kolonnaden können die Flügelbauten des Neustädter Markts den Platz räumlich nicht fassen. Auch entwickeln sie keine Dynamik, die den Besucher zu einem Zielpunkt hinführt. Darüber hinaus hatte Bernini die lichte Weite des Petersplatzes als einen Kontrast zur dunklen Enge der Borgo-Gassen konzipiert. Das Aufbrechen des Platzraums hin zu der unter Mussolini erbauten Via della Conciliazione ist hingegen ebenso wie die Überdehnung des Neustädter Markts ein totalitärer Herrschaftsgestus.
Des Weiteren verweist Frau Prof. Schmidt explizit auf die Place de la Bourse in Bordeaux, die Place de la Concorde in Paris und den Friedrichsplatz in Kassel. Auf den ersten Blick erscheinen die Analogien schlüssiger, jedoch sind auch sie bei näherem Hinsehen nicht gegeben. So ist die Place de la Bourse mit 100 Metern immerhin zweieinhalbmal kleiner als der heutige Neustädter Markt (250 Meter). Weil sie darüber hinaus auch klarer gefasst ist, zeichnet sie sich durch sehr viel mehr Intimität und Kommensurabilität aus. Vor allem aber entfaltet sie sich als eine auf Fernsicht berechnete Prospektivarchitektur zum Wasser hin. Dieser szenographische Bezug ist in Dresden nicht gegeben.
Der Kasseler Friedrichsplatz und die Place de la Concorde wiederum sind mindestens genauso maßstabslos und anti-urban wie der Neustädter Markt, was sich jedoch nicht so gravierend auswirkt, da diese beiden Plätze mit Parkanlagen assoziiert sind. Außerdem lagen die Place de la Bourse, der Friedrichsplatz und die Place de la Concorde zur Zeit ihrer Entstehung an der Peripherie. Eben diesen peripheren Charakter vermittelt aber auch der Neustädter Markt – allerdings in völligem Widerspruch zu seiner Geschichte, war er doch seit dem Mittelalter das Zentrum der Dresdner Neustadt. Wer heute neben dem Goldenen Reiter steht, gewinnt keine Vorstellung davon, dass er sich eigentlich in einer historischen Stadtmitte befindet.
Verstärkt wird der periphere Charakter des Neustädter Markts durch die Tatsache, dass die Fassaden in ihren Proportionen, ihrer horizontalen Gliederung, ihren Balkonen und den Waschbetonelementen allenfalls in die Neubausiedlung eines Vororts passen – eben weil sie ganz abstrakt von Architekturmodellen her gedacht sind. Damit wirkt der Neustädter Markt noch weniger urban als die historischen Platzanlagen in Paris oder Kassel, deren Weite wenigstens durch eine stark untergliederte Randbebauung mit kleinen Parzellen, Risaliten und vertikaler Gliederung (Pilastern, Säulen, hochstehenden Fenstern) gemildert wird. Von „Reurbanisierung“ innerhalb eines barocken Stadtviertels (‚Das neue Dresden’) kann folglich keine Rede sein.
Als Zwischenbilanz bleibt festzuhalten, dass der in den 1970er Jahren geschaffene Neustädter Markt städtebaulichen Gesichtspunkten nicht standhält. Der brachiale Bruch, den die Bebauung der 1970er Jahre in jeder Hinsicht vollzog, nahm sogar den totalen Flächenabriss von gut acht ganzen Straßenzügen in Kauf. Mit einem großangelegten Gestus sollte ein markanter städtebaulicher Auftakt gesetzt werden. Dieser Gestus geriet überdimensioniert und war auf dem viel zu weitläufig konzipierten Terrain kaum erfassbar.
Zugleich reagierte der damalige Plan auf den Bau der Fernstraße (heute B 170). Mit seinen freistehenden Zeilenbauten und seinen großen Leerflächen folgte er den schon damals überholten Paradigmen der Stadtlandschaft und der autogerechten Stadt. In einer historischen Stadtarchitektur – und um eine solche handelt es sich nach wie vor – hat diese Art von Bebauung aber nichts verloren.
Angesichts dieses Befunds ist weder eine besondere Berücksichtigung historischer Strukturen erkennbar, noch eine „harmonischen Beziehung zwischen überkommenen und neu geschaffenen Elementen“ oder gar ein Verwobensein von „Elementen aus dem 18. und 19. Jahrhundert mit zeittypischen Elementen der Freiraumgestaltung der 1970er Jahre“ beziehungsweise eine „außergewöhnliche Leistung (…) im Umgang mit historischer Bausubstanz“.
In den Ohren damals beteiligter Dresdner könnte es sogar wie Hohn klingen, von einer „Weiterentwicklung historischer Charakteristika eines Stadtraums mit Gestaltungsmitteln der 1970er Jahre“ oder einem „sensiblen Aufgreifen des Genius loci“ zu sprechen.

3 Würdigung der Siegerentwürfe als eine Chance der Stadtraumreparatur

Dagegen zeigen die Siegerentwürfe des Ideenwettbewerbs Lösungen auf, die Brüche mit der historischen Bebauung zu mildern und die Verbindung zur Altstadt wiederherzustellen, sogar ohne die Bauten der 1970er Jahre anzutasten. Von einer „Stadtbildstürmerei“ (‚Das neue Dresden’) kann also keine Rede sein, zumal in Dresden die DDR-Architektur nach wie vor sehr präsent ist und auch präsent bleiben wird (Albertplatz, Kulturpalast, Robotron Gaststätte, Hochhaus Sächsische Zeitung, Ostraallee, Hochhäuser an der St. Petersburger Straße und am Hauptbahnhof, Grunaer Straße, Freiberger Straße und nicht zuletzt die Hauptstraße selbst).
Letztlich korrigieren die Siegerentwürfe den Fehler der 1970er Jahre, die Flügelbauten am Neustädter Markt ausschließlich als ein nach Norden weisendes Entree zu gestalten. Unter Wahrung der vorhandenen Substanz richten sie die Straßenachse zwischen Augustusbrücke und Albertplatz auch wieder nach Süden aus. Der Bezug zum Albertplatz bleibt bestehen, aber es erfolgt nun auch wieder die Anbindung an das Königsufer. Durch dessen Wiederbebauung wird der Brückenkopf am Blockhaus/Narrenhäusel wieder zu einer optischen Verengung, die nach Durchschreiten die Weite des Elbtals und die Altstadt-Silhouette in Erscheinung treten lässt. Der raumdramaturgisch einzigartige Aha-Effekt der Barockzeit (wie ihn auch Bernini für den Petersplatz geschaffen hatte und wie ihn auch die Place de la Bourse entfaltet, wenn man sie von der Stadt aus betritt) wird auf diese Weise zurückgewonnen.
Eine wesentliche Voraussetzung für die Wiedergewinnung der Stadtraumdramaturgie ist die Bebauung der Freifläche auf dem Neustädter Markt. Diese lag schon den ersten Wiederaufbauentwürfen seit 1946 zugrunde und ebenso den Vorgaben dieses Ideenwettbewerbs. Daher berücksichtigten auch 21 von insgesamt 27 Wettbewerbsbeiträgen (also gut drei Viertel) diese Zielsetzung. Manche dieser Entwürfe gingen sogar so weit, die DDR-Kopfbauten ganz zu verdecken. Dagegen besteht der Ansatz der Siegerentwürfe darin, einerseits die Leerflächen neu zu fassen und zu strukturieren, andererseits aber auch die bestehenden Flügelbauten zu integrieren, sie unter Rückgriff auf die alten Grundstückskanten sogar raumdramaturgisch zu inszenieren.
Dabei erhält der Goldene Reiter wieder eine räumlich richtig proportionierte Fassung. Für die Brunnen werden intimere Seitenplätze mit hoher Aufenthaltsqualität geschaffen (die es freilich im Rahmen einer Überarbeitung noch weiter auszubauen gilt). Zugleich ergeben beide Pläne ein schönes Stadtpanorama, das mit der Elbseite der Altstadt kommuniziert. Der Bezug zum „Genius loci“ und die „städtebauliche Qualität des Platzes als schöpferische Weiterentwicklung einer historischen Figur“ – hier sind sie gegeben.
Berücksichtigt wird der Genius loci darüber hinaus im Jordi-Keller-Pellnitz-Entwurf durch die kleinteilige Gliederung der Fassaden und die Verwendung von Arkadengängen. Blockhaus und Japanisches Palais sind so in die Gesamtbebauung eingebunden. Ferner schaffen die Arkaden eine angenehme Durchdringung von Straßen- und Fassadenraum. Sie bieten Platz für Fußgängerwege und erlauben so eine Verengung der Straßen. Im Sommer bieten sie darüber hinaus schattig-kühle Passagen, die einen Ausgleich für den Schatten unter den Platanenwäldchen schaffen.
Zwar besitzen diese schattigen Zonen nicht dieselbe Wirkung, welche die Platanenwäldchen und die übrigen Bäume für das Stadtklima haben. Jedoch sollte man sich davor hüten, diesen Aspekt als Vorwand für eine grundsätzliche Blockadehaltung zu nehmen. Denn der Verlust des Baumbestands auf dem Neustädter Markt lässt sich problemlos kompensieren: durch eine Bepflanzung der nicht bebauten Restflächen zwischen dem Goldenen Reiter und den geplanten Neubauten sowie der Bereiche hinter den Flügelbauten. Würde man darüber hinaus den auch städtebaulich gebotenen Durchbruch zur Rähnitzgasse vornehmen, käme es im westlichen Bereich des Neustädter Markts sogar zu einem besseren Luftaustausch. Und nicht zuletzt könnte eine Bebauung die Bewohner der Plattenbauten besser gegen den Verkehrslärm der B 170 schützen.

4 Resümee und Fazit

Bei sorgfältiger und nüchterner Betrachtung erweist sich die derzeitige Bebauung als eine aus der Not geborene Lösung. Die bereits angelegte überbreite Fernverkehrsstraße ließ in den 1970er Jahren ein Zurückgehen auf den alten Stadtgrundriss nicht mehr zu. Die daraus resultierende Architektur ist Ausdruck einer autogerechten Stadtplanung und der damit einhergehenden Flächenplanierung, die als Stadtlandschaft kaschiert wurden. Dieser auf das Raumempfinden von Menschen keine Rücksicht nehmende Ansatz war schon zu seiner Zeit überholt. So bemerkenswert der Ansatz im Kontext der damaligen Entwicklung der DDR-Architektur gewesen sein mag, angesichts materieller Not mit schlichten, verfügbaren Plattenbauten einen neuen repräsentativen Platzraum mit besonderem Akzent zu formen – hier, an diesem geschichtsträchtigen und einst großartig gestalteten Ort – im radikalen Bruch mit der städtebaulichen Logik der damals im Wesentlichen noch original erhaltenen barocken Inneren Neustadt – ist dieses Bemühen misslungen.
Angesichts der immensen Mängel können wir im Neustädter Markt keinen denkmalpflegerischen Wert erkennen – zumal die originale Substanz aufgrund zahlreicher Umbauten und Renovierungen in weiten Teilen gar nicht mehr erhalten ist und die Gesamtfigur der Platzanlage sich infolge der nachträglichen Bepflanzung nicht mehr richtig nachvollziehen lässt.
Hinzu kommt die geradezu abschreckende Auswirkung auf die Elbansicht und die Gesamtwahrnehmung der Neustadt von der Altstadt/Brühlschen Terrasse aus.
Dagegen zeigen die beiden Siegerentwürfe Wege auf, den derzeitigen Bestand intelligent zu integrieren, ihn neu zu fassen und mit der historischen Bebauung von Neustadt und Altstadt zu verbinden. Die Substanz der DDR-Zeit wird nicht zerstört, sondern weiterentwickelt und zeitgemäß interpretiert, die beiden Brunnen und das Reiterdenkmal können angemessene Räume erhalten. Die 1970er Jahre würden an dieser Stelle nicht das letzte Wort behalten, vielmehr könnten sie durch die Moderne des 21. Jahrhunderts weitergeführt und so in eine übergreifende historische Gesamtentwicklung eingebettet werden – und dies ohne Beeinträchtigung des Stadtklimas.
Diese immense Chance, städtebauliche Wunden zu heilen, Altstadt und Neustadt wieder zu einer kompositorischen Einheit zusammenzuführen, auf den menschlichen Maßstab bezogene Stadträume zu schaffen und damit die Aufenthaltsqualität und die Lebensqualität am Königsufer für Millionen von Besuchern und Passanten zu steigern, sollte nicht ungenutztbleiben.

 

Potsdam/Dresden, den 30.10.2020

 

Prof. Dr. habil. Peter Stephan, Fachhochschule Potsdam/Universität Freiburg i. Br.

Prof. Dr. Dr. hc. Heinrich Magirius, Sächsischer Landeskonservator a.D.

Dr. Stefan Hertzig, freier Kunst- und Architekturhistoriker

 

Anbei finden Sie das Gutachten zur Prüfung der Denkmalunterschutzstellung und zur Einordnung des städtebaulichen Zustandes am Neustädter Markt als PDF.