Wie schützen wir Dresdens Schönheit?

Sächsische Zeitung vom 10.April 2019

Anspruchsvolle Architektur statt grauer Flachdach-Kästen fordert die Gesellschaft Historischer Neumarkt von Investoren. Und mahnt die Ämter zu mehr Aufsicht.

Von Kay Haufe

Harmonisch wirkende Ensemble mit angepassten Höhen und Dachlandschaften, die trotz unterschiedlicher Farbgebung gut zusammenpassen – die Generationen vor uns haben vorgemacht, wie man eine lebenswerte Stadt gestaltet, deren Gebäude von den meisten Dresdnern als schön empfunden werden. Seien es die Villen in Strehlen, die sogenannten Kaffeemühlenhäuser in Striesen und Blasewitz oder die Gründerzeitbauten in der Äußeren Neustadt. Warum schaffen wir es heute nicht oder nur schlecht, Häuser zu bauen, die uns gefallen? Und wie gelingt es wieder, die Schönheit der Stadt zu schützen? Dieser Frage ging eine Diskussionsrunde der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden (GHND) am Montagabend nach.

Bilder bewirken oft mehr als Tausend Worte. Und so zeigte das Foto von einem Neubau an der Ecke Wiener/Oskarstraße ganz eindeutig, dass hier sowohl mit den Proportionen des Hauses als auch seiner Masse im Grundstück etwas schief gegangen sein musste. Von ihm wird der benachbarte Bahnhof Strehlen regelrecht erdrückt, der Bau überragt die meisten Häuser der Umgebung bei weitem. Dazu kommt ein Flachdach, wie es ringsum nicht zu finden ist. Wie gut, dass der Leiter des Stadtplanungsamtes direkt dazu befragt werden konnte. Stefan Szuggat erklärte, dass dieser Neubau nach dem Paragrafen 34 des Baugesetzbuches genehmigt worden sei, weil es sich dabei um eine Lückenbebauung gehandelt habe.

Der Paragraf sage aus, dass ein Vorhaben genehmigungsfähig sei, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche in die Eigenarten der weiteren Umgebung einfüge. Lachen im Saal. Genau das ist offenbar nicht der Fall. Doch Szuggat sagt, dass nicht allein die benachbarten Häuser als Maßstab zugrunde gelegt worden seien, sondern die eines weiteren Umfeldes. „Und da gibt es einige, die so hoch sind.“ Die Mitarbeiter seines Amtes hätten genau nachgemessen. Zudem seien an der Wiener Straße viele Zeitsprünge sichtbar. Neben großbürgerlichen Villen gebe es dort auch andere Bauten. „Aber wir pflegen heute kein großbürgerliches Wohnen mehr, das darf man dann auch an der Architektur des Gebäudes erkennen“, verteidigt er den Neubau.

„Ein ordentliches Dach hätte doch schon gereicht“, ruft ein Zuschauer in die Runde. Herausgekommen sei eine Disharmonie ersten Ranges. Und davon gebe es zu viele Beispiele in der Stadt. Es fehle die Bemühung, zu gestalten, sagte Sebastian Storz vom Forum Baukultur. Stefan Szuggat kommentiert dies nicht. Sein Amtskollege Thimo Weitemeier aus dem niedersächsischen Nordhorn nutzt dagegen schon die Möglichkeiten des Paragrafen 34. „Manchmal muss man Investoren, die etwas bauen wollen, was uns nicht gefällt, länger in Gespräche einbinden. Wenn kein Kompromiss möglich ist, gehen wir auch dazu über, einen Bebauungsplan aufzustellen. Diese zwei bis drei Jahre wollen die meisten vermeiden, so dass die Zeitschiene für uns wirkt“, sagt der Nordhorner Stadtbaurat.

Und er verweist auf ein weiteres wichtiges Kriterium für die Stadtplanung in Nordhorn: Dass die Bürgerschaft eine klare Vorstellung davon hat, was erhalten werden soll und wie die Mischung aus Alt und Neu aussehen soll. Dafür hat die Stadt an der holländischen Grenze viele Flächen gekauft und mit klaren Vorgaben, was darauf gebaut werden kann, weiterveräußert. In Dresden ist dies kaum noch machbar, weil nur noch wenige Grundstücke in städtischer Hand sind.

Im Vorfeld hatte bereits der Stadtplaner und Publizist Dieter Hoffmann-Axthelm über die Parzelle gesprochen, die das Knochengerüst einer Stadt darstelle, aber heute ihre Bedeutung als Schlüssel zur Bebauung verloren habe. Mit dem Bau von Hochhäusern und Wohnzeilen nach dem Krieg sei das Parzellensystem aufgelöst worden. „Heute bauen Investoren Komplexe wie die Hamburger Hafencity, von denen sie bereits wissen, wer sie kaufen wird und nach deren Interessen wird alles ausgerichtet“, sagt Hoffmann-Axthelm. Die Stadtplanung müsse indes immer danach entscheiden, was für die Stadt das Beste ist.

Aber könne sie das, wenn ihr droht, eine große Investition zu verhindern? Wie gut Parzellierung funktioniert, sei am Beispiel Barcelona zu sehen. „Dort beruht alles auf dem Schema der Parzelle, aber nichts ist eintönig oder anspruchslos“, sagt Hoffmann-Axthelm. Stattdessen entstehe mit der Verantwortung für eine solche Parzelle auch das Bewusstsein für soziale Durchmischung, anspruchsvolle Architektur und ökologische Stadtentwicklung. Der Tenor: kleinere Eigentumsstrukturen.

Dem widerspricht indes Baywobauchef Berndt Dietze, zumindest für die Dresdner Innenstadt. „Wir mussten am Neumarkt erstmal eine große Tiefgarage errichten, um die komplette Versorgung der Häuser zu sichern. Das hätte ein Einzelner nicht geschafft“, so Dietze. Und auch die Größen der Grundstücke verteidigt er. Denn Bauen müsse immer auch wirtschaftlich möglich sein. Dass größere Einheiten durchaus kleinteilig gestaltet werden können, zeige der Neumarkt sehr vorbildlich.

Was aber heute nicht mehr funktioniere, sei die Parzellierung in kleine Läden. Im Baywobau-Gebäude an der Wallstraße sei lediglich eines von vier Geschäften vermietet. „Ich bin noch ein Romantiker, der gerne einen Schaufensterbummel macht. Aber das wird von den Online-Anbietern kaputt gemacht“, sagt er. Man solle über eine Steuer für Amazon und Co. nachdenken, die die Innenstädte kaputtmachten.

Reiner Zieschank, viele Jahre der Chef von Drewag und Verkehrsbetrieben, wies auf die Politik der Stadt hin, 25 Jahre lang Grundstücke verkauft und Kasse gemacht zu haben. „Eigentum ist heute der Kern aller Dinge.“ Aber wenn Investoren schon horrende Summe für ein Grundstück zahlen müssten, sei nicht mehr viel in der Kasse für gute Architektur.

Die Stadträte Thomas Löser (Grüne), Tilo Wirtz (Linke) und Hendrik Stalmann-Fischer (SPD) wiesen auf einen Antrag hin, den sie am Donnerstag in den Stadtrat einbringen wollen. In ihm sind Leitlinien für die Gestaltung der Innenstadt festgeschrieben, die aber auch nur empfehlenden Charakter haben. So wolle man der Beliebigkeit der Architektur einen Riegel vorschieben. „Wir haben es immerhin geschafft, sieben Erhaltungssatzungen durchzusetzen“, so Löser. Baukultur könne man nicht erzwingen, aber das Bewusstsein in der Bürgerschaft schaffen, schöne Architektur bauen zu wollen. Weg von grauen oder dunkelbraunen Kästen.

Gunter Thiele (CDU) gab zu, dass der Stadtrat in der Vergangenheit nicht genügend aufgepasst habe, zum Besipiel am Postplatz. Künftig wolle man viel eher in Bauprojekte vom Stadtplanungsamt eingebunden werden. Doch noch mehr Restriktionen für Investoren sei auch nicht die Lösung.