Dresdner Neueste Nachrichten vom 15.9.2020
Was soll mit dem Hotel am Terrassenufer passieren? Kann das Venezianische Haus unterhalb der Carolabrücke rekonstruiert werden? Zwei Einzelfragen für ein Gebiet, das städtebaulich viel größere Potenziale bietet, meint Städtebauer Manuel Bäumler. Und zeigt Visionen auf.
Soll das Venezianische Haus unterhalb der Carolabrücke nach seinem historischen Vorbild rekonstruiert werden? Muss das Hotel am Terrassenufer abgerissen werden? Oder wenigstens um drei Stockwerke verkleinert werden, damit es den Blick auf die Elbhänge nicht verstellt? Für Professor Manuel Bäumler, Lehrstuhlinhaber für Städtebauliches Entwerfen an der Technischen Universität (TU) Dresden, greifen diese Fragen zu kurz. Die Debatte über die Zukunft der Pirnaischen Vorstadt dürfe nicht auf einzelne Fragen über Einzelobjekte reduziert werden, findet der Architekt.
Eine Art vorstädtisches Siedlungsgebiet
„Dieser Standort hat ein immenses Potenzial“, verweist der Wissenschaftler auf die Geschichte. Vor der Zerstörung Dresdens war die Pirnaische Vorstadt ein kompaktes dicht bebautes Stadtfeld – mit einer intensiven Mischnutzung, mit einer starken Raumkante zur Elbe hin und gut vernetzt mit anderen Stadtteilen. Beim Wiederaufbau Dresdens sei der Städtebau für diesen Ort neu interpretiert worden, sagt Bäumler. „Das Konzept der gegliederten und aufgelockerten Stadt wurde realisiert. Aus einem dicht bebauten Gebiet wurde eine Art vorstädtisches Siedlungsgebiet.“
Das haben die Stadtplaner ähnlich gesehen und von 2001 bis 2003 einen Städtebaulichen Realisierungswettbewerb ins Leben gerufen, den die Arbeitsgemeinschaft Rhodecan Architekten und Ulrich Krüger Landschaftsarchitekten für sich entscheiden konnte. Zentrale Idee: Ein Solitärbau am Kopf der Carolabrücke und verschiedene Blockstrukturen entlang des Terrassenufers und der Pillnitzer Straße bis hin zum Sachsenplatz.
Chance zur Umsetzung gab es für den Siegerentwurf nie
Der Siegerentwurf war Grundlage für einen Bebauungsplan, den der Stadtrat 2006 verabschiedete.
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Jetzt kommt Bewegung in das Gebiet: Der Hoteleigentümer will sanieren, die Gestaltungskommission beschäftigt sich mit der Situation, Bauunternehmer Frank Wießner hat den Wiederaufbau des Venezianischen Hauses ins Gespräch gebracht. Umweltbürgermeisterin Eva Jähnigen hat in Vertretung von Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (beide Bündnis 90/Die Grünen) eine städtebauliche Studie in Auftrag gegeben.
Das gesamte Gebiet in seinen Kontexten betrachten
Bäumler hält es für sinnvoll, das gesamte Gebiet mit seinen Kontexten zu betrachten. Das haben er und seine Studenten schon mehrfach getan. 2015 hatte das Institut für Städtebau der TU Dresden im Auftrag der renommierten Göderitz-Stiftung einen studentischen Ideenwettbewerb zu Terrassenufer und Pirnaischer Vorstadt initiiert. Und Bäumler hat später eine Studie mit Studierenden erarbeitet. Im Januar 2019 hat der den Stadtplanern die Modelle und die Broschüre mit den Resultaten übergeben.
Ideen entwickelt, die auch realisierbar sind
„Wir hatten uns das Ziel gestellt, Ideen zu entwickeln, die auf die gesetzten Rahmenbedingungen des Ortes reagieren und auch realisierbar sind“, erläutert der Wissenschaftler das Ziel der Studie. Dafür seien von den Studenten die Eigentümer der Grundstücke zwischen Carolabrücke, Terrassenufer, Güntzstraße und Pillnitzer Straße einbezogen worden. „Das Positive ist ja, dass neben zwei Wohnungsgenossenschaften auch der Stadt einige Flächen in dem Areal gehören. Es gibt Gestaltungsmöglichkeiten“, sagt Bäumler.
Aber auch für Genossenschaften und private Eigentümer gebe es Anreize für eine städtebauliche Weiterentwicklung: „Mit dem Konzept der kompakten Stadt der kurzen Wege haben wir eine ganz andere bauliche Dichte.“ Natürlich könne es nur darum gehen, den Umbau der Pirnaischen Vorstadt schrittweise zu realisieren. „Das ist ein Vorhaben, bei dem es nicht um Jahre, sondern um Jahrzehnte geht“, sagt Bäumler.
Ziel: urbanes Stadtquartier mit hochwertiger Stadtkante
Es gehe darum, aus einer Wohnsiedlung, die eher am Stadtrand zu vermuten sei, ein urbanes Stadtquartier mit einer Kombination aus Wohnen, Arbeiten und Versorgen mit einer hochwertigen neuen Stadtkante zum Elberaum hin, einer guten Vernetzung und einem starken öffentlichen Freiraum herauszuarbeiten. Der Inszenierung der Altstadt komme dabei eine besondere Bedeutung zu. „Gegenwärtig fehlt entlang des Flussraumes der Elbe eine klare städtebauliche Führung. Das Erlebnis Altstadt wird nicht aufgebaut. Die Situation zum Terrassenufer hin wirkt kraftlos und ungeordnet. Das Gebiet schöpft baulich wie auch freiräumlich bei Weitem nicht das Potenzial seiner hohen Lagegunst aus“, findet der Professor.
Auch mit Hotel und Steinstraße ist attraktives Stadtfeld möglich
„Auch wenn wir die Fixpunkte wie das Hotel und die Lage der Steinstraße berücksichtigen, können wir ein attraktives Stadtfeld entwickeln“, erklärt Bäumler, der vor einem Fehler warnt: „Die Stadt ist mehr als die Summe von Gebäuden. Wir sollten also weg von den Einzelobjekten in die Fläche gehen und klären, wo unter einer übergeordneten städtebaulichen und freiraumplanerischen Idee gebaut werden soll und wo öffentlicher Raum entsteht. Dadurch erfahren die Einzelobjekte wie das Hotel die gebotene städtebauliche Einbindung und werden deutlich weniger als im Stadtbild störende Fragmente wahrgenommen.“ Der Wissenschaftler glaubt an eine sehr gute Gesamtlösung, mit der der Ort immens aufgewertet werden und eine gesamtstädtische Bedeutung erhalten könne.
„Die Innenstadt wird sich zur richtigen Mitte entwickeln“
„Perspektivisch wird sich die Dresdner Innenstadt zu einer richtigen Mitte als übergeordneter Bezugsraum ganz im Sinne des Leitbildes einer europäischen Stadt entwickeln“, glaubt Bäumler. Die jetzige Situation der Pirnaischen Vorstadt sei ein Übergangszustand und aufbauend durch vorherrschende städtebauliche Leitbilder in der Nachkriegsära zustande gekommen. „Es geht darum, das herausragende Potential des Standortes zu nutzen, um das Stadtbild und die gebotene Urbanität in diesem zentralen Bereich zu stärken und im Sinne einer Gemeinwohlorientierung für die Stadtgesellschaft weiterzuentwickeln.“
Bäumler plädiert auch vehement dagegen, Städtebau auf eine Fassadendiskussion zu reduzieren. „Gute Architektur kann schlechten Städtebau nicht heilen. Gute städtebauliche Lösungen dürfen nicht von der Qualität der Einzelarchitekturen abhängig sein“, findet er.
GHND plädiert für die Marschallstraße
Torsten Kulke, Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft Historischer Neumarkt Dresden (GHND), hat die Studie von Bäumler mit großem Interesse registriert. „Ich finde den Ansatz, die Marschallstraße auferstehen zu lassen, sehr vielversprechend“, erklärte Kulke auf Anfrage seine Vorzugsvariante (siehe Kasten). Mit der Wiederauferstehung der Verkehrsachse rücke auch die Vision eines verkehrsfreien Terrassenufers in greifbare Nähe, weil eine Ausweichstrecke zur Verfügung stünde.
Von Thomas Baumann-Hartwig
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